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Die “Versteherin” versteht nicht, aber…

Donnerstag
09.06.2022, 16:00 Uhr
Autor:
psg
veröffentlicht unter:
Im Oktober 2015 war Prof. Dr. Gabriele Krone-Schmalz schon einmal in Nordhausen. Damals titelte die nnz “Die Russland-Versteherin”. Geblieben ist das Verständnis der profunden Kennerin für Russland, nicht aber für Putin. Gestern war Krone-Schmalz erneut in Nordhausen, begleitet von einem Großaufgebot an Polizei…

Präventivaktion der Polizei (Foto: nnz) Präventivaktion der Polizei (Foto: nnz)
So ändert sich nicht nur die Meinung der Journalistin mit dem Blick auf das riesige Land, abseits des medialen Mainstreams, es ändern sich auch die Umstände, in denen Meinung vertreten werden kann. Schon in ihrer Anmoderation und Begrüßung musste Bibliotheksleiterin Hildegard Seidel auf den verspäteten Beginn der Veranstaltung eingehen. Sie habe der Polizei berichten müssen, dass es im Veranstaltungsgebäude normal und ruhig sei. Seitens der Polizei sprach man von einer präventiven Maßnahme. Die Situation rund um den Ukrainekonflikt sei sehr angespannt und eventuelle Störungen wollte man vermeiden.

Gabriele Krone-Schmalz tat zunächst kund, dass sie zum Beginn ihres Vortrages etwas “Allgemeines” zu sagen habe und verwies unter anderem auf den Ex-Bürgermeister von Hamburg, Klaus von Dohnanyi, der diesem Deutschland eine sehr schmale Debattenkultur attestiert hatte. “Man muss die Argumente des Anderen nicht teilen, aber man muss sie zulassen, man sollte sich mit ihnen auseinandersetzen, sie widerlegen”. All das werde seit einigen Jahren bei der Diskussion zu zentralen Themen in Deutschland verdrängt. Es erfolge eine Ideologisierung, die über eine Polarisierung in die Radikalisierung münde.

Mehrfach betonte die Referentin, dass sie sich in Putin maximal getäuscht habe. Nie habe sie gedacht, dass Russland in die Ukraine einfallen werde. Doch nun, da diese bittere Realität sei, müsse es möglich sein zu fragen, wie es dazu kommen konnte.

Eine zentrale Grundlage zur Diskussion sei mit dem Verständnis der beiden Verträge Minsk I und II gegeben, parallel dazu müsse die Kündigung von drei Abrüstungsverträgen seitens der Nato und der USA betrachtet werden. Das Nichteinhalten der Minsker Verträge seitens der Ukraine wohl aber der Russen, die parallel verhängten ersten Sanktionen gegen Russland und das Nichtanerkennen berechtigter Sicherheitsinteressen Russlands, seien die Einbahnstraßen in den jetzigen Krieg gewesen, den sie mehrfach in ihrem Vortrag kritisierte.

Auf die Wirkweise der bisher verhängten Sanktionen gegen Russland ging Krone-Schmalz auch ein. Sie glaube, dass diese Sanktionen mehr den Sanktionierern als den Sanktionierten schaden werden und dass es bei den Sanktionierern nicht mit ein bisschen Frieren getan sein wird. Die deutsche Geschichte zeige, wie Sanktionen wirken.

Nach dem ersten Weltkrieg sei Deutschland zum Beispiel durch die Versailler Verträge dermaßen sanktioniert worden, dass im Land selbst eine Radikalisierung Fuß fassen und sich ausbreiten konnte, die letztlich in die zweite Katastrophe mündete.

Nach dem zweiten Weltkrieg wurde dem Westen Deutschlands nicht nur die Chance für den Wiederaufbau gegeben, es gab auch Unterstützung seitens der Siegermächte und damit die Errichtung eine demokratischen Rechtsstaates ermöglicht, so die Einschätzung der Russland-Versteherin gestern Abend in Nordhausen.

Wie aber nun weiter? “Ich hätte nicht gedacht, dass ich als Journalistin innigst auf eine mögliche Geheimdiplomatie hoffe, die die Weichen für die Beendigung des Krieges zu stellen in der Lage wäre”. Nicht schwere Waffen, sondern Herz und Hirn seien nun gefragt, denn was Diplomatie leisten könne, das hätten die Menschen in Europa nach 1990 de facto im Minutentakt erfahren und erleben dürfen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger sei nun eine Weiterentwicklung der europäischen Sicherheitsarchitektur notwendig, die die Sicherheitsinteressen aller europäischen Länder berücksichtigen müsse. Nur so sei Frieden möglich.

Zum Abschied gab es eine Flasche Flutwein von einer Vertreterin des Bibliotheks-Fördervereins (Foto: nnz) Zum Abschied gab es eine Flasche Flutwein von einer Vertreterin des Bibliotheks-Fördervereins (Foto: nnz)
Das Publikum im voll besetzten Ratssaal dankte der Referentin, die immer noch “verzweifelt, wütend und hilflos” ist, mit einem sehr langen Beifall für die etwas andere Perspektive auf einen militärischen Konflikt, der letztlich keinen Sieger und keine Verlierer haben könnte.
Peter-Stefan Greiner