Klettenberger wollen um ihr Freibad kämpfen

Was haben wir denn noch?

Freitag
03.06.2022, 12:00 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Im kleinen Klettenberg wurde gestern über die Zukunft des örtlichen Freibades diskutiert. Die Emotionen schlugen hoch, denn es geht für die Menschen vor Ort um sehr viel mehr, als ein Wasserbecken für schöne Sommertage…

Ein Bild aus besseren Tagen - das Klettenberger Freibad gehört für die Menschen zum Herzen des Ortes (Foto: Gemeinde Hohenstein) Ein Bild aus besseren Tagen - das Klettenberger Freibad gehört für die Menschen zum Herzen des Ortes (Foto: Gemeinde Hohenstein)


Das Klettenberger Freibad ist marode und müsste dringend saniert werden, doch das würde die Gemeinde Hohenstein in ohnehin schwierigen Zeiten viel Geld kosten. So kurz und knapp ließ sich die gestrige Versammlung im Gemeinderat zusammenfassen. Das Wohl und Wehe der kleinen Flecken auf der Landkarte, es könnte die Zeitungen tagtäglich füllen.

Den Klettenberger aber geht es um mehr, viel mehr. Ihr Freibad ist nicht nur ein Rückzugsort für schöne Sommertage, es ist auch ein Symbol. Ein Zeichen, dass man noch da ist. Das der Ort und seine Menschen noch eine Zukunft haben. 40 Jahre lang war man Grenzgebiet, eine Dörfchen im Niemandsland rund um die deutsch-deutsche Demarkationslinie. Die Wende kam, die alte POS ging. Erst wurden die Schulteile per Gesetz getrennt, dann die Regelschule gegen alle Widerstände und Kräfte der Menschen vor Ort abgewickelt und schließlich abgerissen.

Bürgermeister Jens Sauer musste in Klettenberg erklären, warum das Freibad in diesem Jahr geschlossen bleiben muss (Foto: agl) Bürgermeister Jens Sauer musste in Klettenberg erklären, warum das Freibad in diesem Jahr geschlossen bleiben muss (Foto: agl)


Übrig geblieben ist die Turnhalle, in der sich gestern viele Einwohner der Gemeinde einfanden um zu hören wie es weiter geht mit dem Freibad. Die Sorge ist, dass es wieder so kommt wie damals. „Wir sind gebrannte Kinder“, sagt Margret Kern, einstmals Schuldirektorin und Klettenberger Urgestein. „Was machen wir mit unserer Gemeinde? Was haben wir denn noch? Wir waren damals Grenzgebiet und wir sind es heute wieder. Wir gehören nicht zu Niedersachsen und nicht recht zu Thüringen. Wer kümmert sich um uns, wenn nicht wir selbst? Es geht nicht nur um das Bad, es geht darum als Gemeinde Hohenstein etwas zu erreichen“, sagte Kern und übergab Bürgermeister Jens Sauer über 700 gesammelte Unterschriften zum Erhalt des Bades.

"Was haben wir denn noch?" fragte die ehemalige Schuldirektorin Margret Kern und übergab dem Bürgermeister eine Unterschriftenliste (Foto: agl) "Was haben wir denn noch?" fragte die ehemalige Schuldirektorin Margret Kern und übergab dem Bürgermeister eine Unterschriftenliste (Foto: agl)


Noch mehr alte Wunden
In Kern’s Worten schwingt eine Anklage und eine weitere Sorge mit. Man ist sich nicht recht sicher, wie weit es her ist mit der Solidarität der einzelnen Gemeindeteile. Klettenberg ist nur einer von neun Ortsteilen, die in den Nachwendejahren zu einem Ganzen zusammengefasst wurden und wenn es um Richtungsentscheidungen ging, war man sich mancher Ort oft selbst der Nächste.

Ein solch wunder Punkt ist die übrig gebliebene Grundschule. Die Schülerzahlen geben es gerade so her, dass man die Existenz des Hauses noch rechtfertigen kann. Wenn denn alle Kinder der Einheitsgemeinde die Grundschule besuchen. Doch in Trebra, so ist am Rande der Veranstaltung zu hören, schickt man den Nachwuchs lieber nach Bleicherode, die Zustände in der Klettenberger Schule könne man den Kindern nicht zumuten, sollen die Trebraer Eltern argumentieren. Zumindest erzählt man es sich hier so. Wackelt also auch die Grundschule oder gar der vom Landratsamt geplante Neubau? Eher nicht, im Gemeinderat ist man sich sicher, dass die neue Schule kommen wird und das dann alle Hohensteiner ABC-Schützen hier eine neue Heimstatt finden werden, auch die Kinder aus Trebra. Die Vorbereitungen im Landratsamt würden laufen, sagt Bürgermeister Sauer, samt Fördermitteln, Planern und all dem bürokratischen "etc. pp." des deutschen Bauwesens.

Probleme wohin das Auge blickt
Eine soliden Plan braucht man nun auch für das Freibad, denn die Mängelliste ist lang und alles andere als trivial. Die Folie im Becken ist alt, porös und undicht, was tagtäglich zu signifikanten Wasserverlusten führt. Flickschusterei, wie man sie in der Vergangenheit betrieben hat, löst das Problem nicht mehr und wäre herausgeworfenes Geld. Beim letzten Versuch die Folie neu zu verschweißen bekam das überalterte Material nach wenigen Metern wieder Risse. Aber das ist nur Problem Nummer Eins. Anno 2019 hatte man das Planschbecken für rund 20.000 Euro erneuert. Bei der Abnahme monierte das Gesundheitsamt, dass die Anlage nicht mehr die geltenden Bestimmungen erfülle und erteilte eine vorläufige Betriebserlaubnis bis 2025. Seitdem zerbricht man sich den Kopf, wie man den Problemen Herr werden kann.

Die Chlorzugabe wird im Freibad je nach Wetterlage von Hand geregelt (Foto: agl) Die Chlorzugabe wird im Freibad je nach Wetterlage von Hand geregelt (Foto: agl)
Will man im Bad etwas machen, muss auch eine Schwall- und Umlaufrinne plus Auffangbehälter, Filter und Rückführung installiert werden. Die Düsen für die Durchmischung des Beckenwassers schwächeln, die Dosierungsanlage für die Chlorung wird von dem einen Bauhofmitarbeiter, der für das Bad seine Freizeit opfert, noch händisch bedient, je nach Wetterlage. Die nötige Eignung für den Umgang mit Gefahrengut besitzt die gute Seele des Freibades allerdings nicht und bei der Klettenberger Feuerwehr gibt es im Ernstfall keinen Chemieschutzanzug. Und wer schon einmal gehört hat, was bei einem Chlorunfall in einem Bad alles passieren kann, der weiß, das dass ein echtes Problem ist. Die Elektrotechnik ist ebenso renovierungsbedürftig und über Personalfragen und Öffnungszeiten hat man da noch gar nicht gesprochen. Flicken allein hilft nicht mehr.

Das Herz von Hohenstein
Also ran an die Fördermittel. Nur sind die passenden Fördertöpfe gar nicht so leicht zu finden. Laut der Thüringer Prioritätenliste aus 2005 ist die Klettenberger Anlage, ähnlich wie das Nohraer Bad am Hünstein, ein Schließungskandidat und nicht förderfähig. Was nicht heißt, dass man nicht anderswo Mittel auftreiben könnte. Die Feuerwehr etwa braucht das Becken in jedem Fall als potentiellen Löschwasserbehälter. Der Erhalt des Bades ist aus Sicht der Kameraden daher eine existentielle Notwendigkeit für die Sicherheit der Menschen im Ort. Doch wer soll sich durch den bürokratischen Dschungel kämpfen? Der Bürgermeister macht seine Vollzeitjob für rund 1.400 Euro brutto, die Kämmerei ist nicht besetzt und vor der Gemeinde liegen noch eine ganze Reihe anderer, grundlegender und teurer Aufgaben wie der Straßen- und Kanalbau oder der Erhalt der Turnhalle. Ein Dilemma wohin man blickt.

Niemand habe je die Absicht gehabt, das Bad permanent zu schließen, wird der immer noch vergleichsweise „frische“ Bürgermeister Sauer am Abend sagen und mancher fühlt sich an einen ganz ähnlichen Satz erinnert, der es bis in die Geschichtsbücher geschafft hat. Wenn das Bad einmal zu ist, bleibt es zu, so die Sorge. Unglücklich ist man auch über die Art und Weise, wie die Sache kommuniziert wurde, viele haben erst aus der Zeitung erfahren, wie es wirklich um ihr Bad steht.

Doch Sauer bekommt Rückendeckung, aus dem Gemeinderat, von Amtsvorgänger Gerbothe und aus dem Publikum. Das Bad treibe die Ratsmitglieder schon viele Jahre um und sei in jeder Haushaltsdiskussion Thema gewesen, sagt Thomas Evers. Man müsse die Sache nun gemeinsam anpacken."Es ist an der Zeit, das endlich ein „Wir-Gefühl“ entwickelt wird, das man sagt "wir hier, ihr da und ihr dort sondern das man sagen kann: „Wir sind Hohenstein“.

Die 700 Unterschriften könnten eine Basis für die Gründung eines Fördervereins sein, der die Bemühungen der Verwaltung unterstützt, die wiederrum die Fördertöpfe finden und auftun muss, um die Sanierung anschieben zu können. Als man kurz vor zehn Uhr nach mehreren Stunden emotionaler Diskussion auseinandergeht, scheint es so als ob man geschlossen hinter Klettenberg und seinem Freibad stehen wird. Das Bad, die Turnhalle und die Schule seien „das Herz von Hohenstein“, sagt Andreas Gerbothe und das dürfe man nicht aufgeben.
Angelo Glashagel