77. Jahrestag der Befreiung des KZ Mittelbau-Dora

Nie wieder

Montag
11.04.2022, 15:43 Uhr
Autor
red
veröffentlicht unter:
Es war ein Bild der Dinge die da kommen werden: die Stühle, auf denen sonst die Überlebenden des KZ Mittelbau-Dora am Jahrestag der Befreiung platz nehmen, blieben heute fast alle leer. Dabei scheint es in diesen Tagen umso wichtiger, an das Grauen des Krieges und der Nazi-Diktatur zu erinnern…

77. Jahrestag der Befreiung des KZ Mittelbau-Dora (Foto: agl) 77. Jahrestag der Befreiung des KZ Mittelbau-Dora (Foto: agl)

Vor gut drei Wochen ereilte die Gedenkstätte Mittelbau-Dora eine schreckliche Nachricht: Boris Romantschenko, einer der letzten Überlebenden des KZ, war gestorben. Nun ist der Tod eines ehemaligen Häftlings zwar traurig, 77. Jahre nach der Befreiung des Lagers durch die US-Amerikanische Armee aber auch eher zu erwarten als zu befürchten.

Doch mit dem Schicksal Boris Romantschenko verhält es sich anders. Romantschenko war Ukrainer und hat bis zuletzt in Charkiw nahe der russischen Grenze gelebt. Als Vorsitzender der „Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora und Kommandos" war der Mann, der vier Konzentrationslager überlebte, häufig in Nordhausen zu Gast. Auch in diesem Jahr hätte er wieder als Gast zur Gedenkfeier kommen sollen, doch am 18. März 2022 beendet ein anderer Krieg sein leben.

Die meisten Stühle blieben heute leer (Foto: agl) Die meisten Stühle blieben heute leer (Foto: agl)


Der dunkle Schatten des Ukraine-Krieges schwebte denn auch über dem heutigen Jahrestag der Befreiung und das nicht allein wegen dem tragischen Todesfall. Die letzten Wochen und Monate hätten gezeigt, dass man sich nicht Sicherheit wiegen sollte, in dem Glauben dass sich die Dinge nicht wie früher entwickeln könnten, mahnte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow. „Das waren nicht „andere Zeiten“, wir leben nicht in „anderen Zeiten“.“, sagt Ramelow, die gleichen Töne, die damals zu den KZ’s geführt haben, seien jetzt in Russland zu hören. Dabei dürfe man nicht diejenigen, die Deutschland damals von der Naziherrschaft befreiten, mit den jetzigen Aggressoren verwechseln. Das sei ein Hohn für die Kämpfer und Opfer.

Zum Gedenken an die Opfer konnten 77. Jahre nach der Befreiung nur noch zwei Überlebende nach Nordhausen kommen (Foto: agl) Zum Gedenken an die Opfer konnten 77. Jahre nach der Befreiung nur noch zwei Überlebende nach Nordhausen kommen (Foto: agl)
Umso wichtiger sei es daher, so Ramelow weiter, das „nachfragen“ nicht sein zu lassen, das Gedenken nicht zum reinen Ritual verkommen zu lassen sondern beständig daran zu arbeiten. Hinzuschauen und zu sagen "Niemals wieder" heiße auch, sich mit dem Schmerz auseinanderzusetzen. Und wer könnte den besser vermitteln, als diejenigen, die ihn am eigenen Leib zu spüren bekommen haben? In der Vergangenheit konnte man an einem Tag wie heute viele solcher Stimmen hören, heute blieben die meisten der bereit gestellten Stühle leer. Nur noch zwei Überlebende konnte man heute in Nordhausen begrüßen, wobei Krieg und Pandemie aber auch ihre Finger im Spiel hatten.


Anliegen der Gedenkstätte Mittelbau-Dora war es immer, die Geschichte des Lagers und die Realität seiner Opfer in die Gesellschaft zu tragen. Zu zeigen wie nah das „System KZ“ am Alltag der einfachen Menschen tatsächlich war. In diesem Jahr will man sich in diesem Sinne auf Fluchtgeschichten konzentrieren, erklärte Gedenkstättenleiter Prof. Dr. Karsten Uhl. Es sind keine erbauenden Geschichten, denn sie erzählen selten vom Erfolg. Viele versuchten es, in den letzten Tagen des Krieges, auf den „Todesmärschen“. Auch zweihundert Ilfelder Häftlinge nutzten die Gelegenheit, sich in die Wälder zu schlagen. Es sollte ein Massaker werden, bei dem 110 der Flüchtigen erschossen werden. Doch es gibt auch Geschichten, in denen die Flucht gelingt. Meist ist das der Fall, wenn die Bevölkerung bereit ist, zu helfen.

Wie nah das Geschehen an den Menschen war, soll eine neue Sonderausstellung zum Thema Flucht zeigen, die heute im Rahmen der Gedenkveranstaltung eröffnet wurde.
Angelo Glashgel