Der Stadtrat und das Rathaus

Wie man aus einer Mücke einen Elefanten macht

Freitag
08.04.2022, 19:30 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Wer die Nordhäuser Politik in den letzten Jahren mehr oder minder aufmerksam beobachtet hat, der konnte gewisse Spannungen zwischen Rathaus und Stadtrat feststellen. Das hat sich bis heute nicht geändert, meint man bei der SPD und verweist auf die Causa „Herkules-Markt“, die scheinbar immer noch nicht vom Tisch ist…

Der Herkules-Markt in Niedersachswerfen sorgt weiter für Unstimmigkeiten in der Nordhäuser Stadtpolitik (Foto: nnz-Archiv) Der Herkules-Markt in Niedersachswerfen sorgt weiter für Unstimmigkeiten in der Nordhäuser Stadtpolitik (Foto: nnz-Archiv)

Eine Mücke zum Elefanten zu machen ist gar nicht so schwer. Man nehme: einen Einkaufsmarkt, den es seit fast 30 Jahren gibt. Man erweitere besagten Markt um ein klein wenig Verkaufsfläche, gebe einen kräftigen Schuss Bürokratie hinzu und würze das Ganze mit einer Prise Sturheit. Et voilá, der
Marktstreit zu Nordhausen, eine lokale Kleinposse.

Kurz zur Erinnerung: Ende 2019 möchte man in Niedersachswerfen dem lange etablierten Herkulesmarkt eine Auffrischung verpassen und den Eingangsbereich umbauen. Kein Anbau und kein Neubau, aber die effektive Verkaufsfläche steigt um ein paar Quadratmeter. Dafür braucht es eine Baugenehmigung, die das Landratsamt erteilt und zu der umliegende Gemeinden Stellung nehmen können. In einem anderen, angenehmeren Realitätsstrang hört die Geschichte hier auf. Corona hat es nie gegeben, in der Ukraine herrscht weiter Frieden und niemand nimmt von dieser Petitesse aus dem deutschen Behördenalltag überhaupt auch nur Notiz. Leider ist unsere Realität irgendwo falsch abgebogen und so liegen die Dinge leider anders.

Im Nordhäuser Rathaus nutzt man die Chance um Widerspruch einzulegen, begründet diesen aber nicht. Im Stadtrat weiß man von den Vorgängen monatelang nichts, bis zu einer Hauptausschusssitzung Mitte 2020, bei der sich das Rathaus den Widerspruch genehmigen lassen möchte. Man ist etwas perplex und kann nicht ganz nachvollziehen, warum man der Nachbargemeinde die tatsächlich überschaubare Änderung nicht gönnen mag. Egal, die Rathausspitze scheint schon bei der nächsten Stadtratssitzung ein Einsehen zu haben und nimmt den strittigen Punkt von der Tagesordnung. Man habe mit der Gemeinde Harztor gesprochen und alle Problemfragen geklärt, habe das Rathaus damals erklärt, erinnert sich Hans-Georg Müller.

Also alles vom Tisch. Für die Stadträte hatte es damals, im Juli 2020, den Anschein, erzählt Müller im Büro der SPD heute. Nur war dem nicht so. Vielmehr bittet das Nordhäuser Rathaus den Landkreis darum, die Sache an das Landesverwaltungsamt weiterzugeben. Das kriegt man irgendwann auch im Stadtrat spitz und fragt mehrfach nach, ob der Widerspruch denn nun zurückgezogen wurde. Im Dezember droht man schließlich, einen Sonderstadtrat zu dem Thema einzuberufen, 21 Stadträte bringen die nötigen Formalien auf den Weg, weit mehr als nötig gewesen wären und über Fraktionsgrenzen hinweg. Man will den Oberbürgermeister dazu bewegen, die Sache sein zu lassen und einen entsprechenden Beschluss fassen. Im Rathaus ist man der Ansicht, dass der Stadtrat hier gar nicht zuständig sei, sondern die Verwaltungsspitze eigenständig handeln kann, darf und muss. Dank Corona zieht sich die Sache weiter hin und im März 2021 schließlich berät man in nun doch regulärer Sitzung über den Rückzugs des Widerspruch gegen die Baugenehmigung.

Pressegespräch im SPD Büro mit Andreas Wieninger (links), Hans-Georg Müller und Barbara Rinke (Foto: agl) Pressegespräch im SPD Büro mit Andreas Wieninger (links), Hans-Georg Müller und Barbara Rinke (Foto: agl)

In der Sitzung legt der OB ein Gutachten vor, welches die Gefahr für den Einzelhandel der Kreisstadt belegen soll, doch der Stadtrat nimmt der Verwaltung die Erklärung nicht ab. „In der Schule hätte man gesagt „Thema verfehlt“. Die Fragestellungen, die da aufgemacht wurden, hätten in die 90er Jahre gepasst, als der Markt gebaut wurde aber nicht zu der jetzigen Erweiterung eines lange etablierten Standortes“, sagt Müller - heute und auch damals will man im Stadtrat nicht so recht verstehen, warum das Rathaus die Sache mit solcher Vehemenz verfolgt. Wer den Schlagabtausch nachlesen möchte: die nnz war live dabei.

Am Ende stellt sich der Rat gegen den OB, doch der will von der Rücknahme des Widerspruchs nicht abweichen. Jetzt ist die Sache also vom Tisch, ja? Nein. Der Oberbürgermeister gedenkt, die Entscheidung seines Stadtrates zu beanstanden, was nach dem Thüringer Kommunalrecht möglich ist und „unverzüglich“ bei der zuständigen Rechtsaufsichtsbehörde zu geschehen hat.

Die Fraktionen im Stadtrat haben nicht nur wegen der Causa „Herkules-Markt“ die sprichwörtliche Nase gestrichen voll und beschneiden die Rechtes des Oberbürgermeisteramtes in der Folge per Änderung der Hauptsatzung massiv. In Sachen Beanstandungs-Rückzugs-Widerspruchs-Beurteilung ruht der See gar stille. Die erwartete Einschätzung der zuständigen Stellen bleibt aus.

„Wir haben auf eine Einschätzung der Kommunalaufsicht gewartet aber die kam nie. Also sind wir davon ausgegangen, dass der Widerspruch nun zurückgezogen wurde. Wir dachten ein zweites mal, das ist jetzt erledigt", sagt Müller. Nur war dem nicht so. Und damit sind wir wieder im „Hier und Jetzt“, gut zwei Jahre später. Im Februar möchte Müller von der Verwaltung wissen, wie es um das Widerspruchsverfahren steht. Im März antwortet der OB, dass das Verfahren weiter laufe. „Ich habe ein wenig später dann erfahren, dass die „unverzügliche“ Beanstandung überhaupt erst am Tag dieser Antwort bei der Kommunalaufsicht eingegangen ist, also ein gutes Jahr später. Und da fühlt man sich dann doch vorgeführt“, sagt der SPD-Stadtrat.

Und das ist nicht der einzige Vorgang, der den Fraktionen, nicht allein den Genossen der SPD, ein Dorn im Auge ist. Da ist die scheinbar unendliche Geschichte rund um den Bau einer öffentlichen Toilette am Bahnhofsplatz, die Personalpolitik im Rathaus, die pessimistische Sicht der Verwaltungsspitze auf die Finanzen, die aus Sicht des Rates faktisch vakante Wirtschaftsförderung, das Fehlen eines ordentlichen Vereinshauses oder auch jüngst die Ausschreibung zum Wochenmarkt. Die alten Verträge waren hier ausgelaufen und der alte Marktmeister hatte sich verabschiedet, berichtet Barbara Rinke. Im zuständigen Ausschuss habe man sich daraufhin Gedanken gemacht, ob es nicht besser wäre das Marktgeschehen wieder selber in die Hand zu nehmen und ein paar Dinge anders zu machen. „Wir haben X Vorschläge gemacht und dann hinterher erfahren, dass wieder Verträge mit den bisherigen Betreibern geschlossen wurden. Unsere Meinung wird abgefragt, aber es fließt nichts davon ein. Man führt stundenlange Diskussionen in den Ausschüssen, die nutzlos sind, weil am Ende nur das dabei herauskommt, was in der Verwaltung im Vorfeld beschlossen wurde“, kritisiert die ehemalige Oberbürgermeisterin.

Wobei, dass geben die Genossen zu bedenken, nicht alles schlecht sei. Im Kern funktioniere die Verwaltung und bei Sachfragen könne man gut mit den Fachämtern zusammenarbeiten, wie zuletzt die Aufstellung des Haushaltes gezeigt habe. Es ist die Rathausspitze, mit der man ein Problem hat. Seit dem Amtsantritt von Frau Rieger als erste Beigeordnete sei es zwar etwas besser geworden, aber die neue Bürgermeisterin müsse noch in ihre Rolle finden. Und so hadert man weiter am Umgang miteinander. Die Arbeit der Ausschüsse, meint Rinke, lasse man scheinbar bewusst ins Leere laufen und Müller sieht in dem Streit um die Markterweiterung ein „Rumpelstilzchen“, das trotzig mit dem Fuß aufstampft und um jeden Preis Recht behalten will.

Die Rathausleitung pocht derweil auf die Rechtslage und kann scheinbar nicht anders, als aus der Mücke Markterweiterung einen Elefanten zu machen, der nun zu der Grundsatzfrage geführt hat: was darf der Stadtrat? Mit der Änderung der Hauptsatzung hat der Stadtrat schon ein scharfes Schwert geschwungen und dem Oberbürgermeister engere Grenzen gesetzt. Doch sieht man sich weiter von der Hausleitung „verschaukelt“, siehe die Abgabe der ein Jahr alten Beanstandung.

Und so stehen die Zeichen in der kleinen Nordhäuser Lokalpolitik weiter auf Sturm, und der Markt in Niedersachswerfen ist der Sirenenfelsen, der das Schiff zum Schlingern bringt. Aber genug der halbgaren Metaphern. Die nächste OB-Wahl steht im übrigen im kommenden Jahr an.
Angelo Glashagel