Erinnerung an die Bombardierung Nordhausens

Wer Krieg erlebt, hat lebenslänglich

Montag
04.04.2022, 11:09 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
77 Jahre nach dem Bombenhagel, der am 3. und 4. April 1945 auf Nordhausen niederging, hat die Erinnerung und haben die Verluste an Schrecken nichts verloren. Die Ereignisse jener Tage haben sich auch Gisela Hartmann ins Gedächtnis gebrannt...

Am 03. April 1945 begann am frühen Abend das Grauen mit dem ersten Bombenangriff auf Nordhausen. Die,, Bayrische Gaststätte" erhielt einen Volltreffer und fiel in Schutt und Asche. Eine weitere Bombe traf den Platz zwischen Rathaus/ Ecke Steinweg-Lutherplatz (ehemals Schuhhaus Papst). Im Umkreis von 50 bis 100 m fielen weitere Bomben und trafen z.B. in der Krämerstraße Gardinenmüller. Wir wohnten in der Stadtmitte. im Rosenthal‘schen Haus.

Im Keller des Hauses hatten viele Zuflucht gesucht. Wir saßen eng gedrängt, Es war beängstigend still und dunkel. Die Anspannung war riesig, alle spürten die Erschütterungen, manchmal fühlte es sich wie ein Schaukeln an.

Irgendwann drehten die Bomber ab. Wir hofften es sei vorbei...

Meine Mutter befürchtete erneute Angriffe und floh mit uns bei Tagesanbruch aus der Stadt in Richtung Heringen zum Grundstück meiner Vorfahren. Mein Großvater blieb in der Stadt in seiner Wohnung. Er war überzeugt, das Schlimmste sei überstanden.

Zu fuß auf den Weg. Das einzige Gepäck meiner Mutter, an das ich mich sehr genau erinnere, war unser Nähkasten. Ihre Erklärung auf meine verwunderte
Frage,, Warum gerade den Nähkasten?" war ganz einfach: Wir besitzen nur noch das was wir gerade anhaben und bei Bedarf, können wir die Kleidung flicken. Wir liefen und liefen und bereits am Ortseingang von Sundhausen hörten wir wieder die Flugzeuge. Der nächste Angriff begann gegen 9.00 Uhr. Wir hatten gerade Sundhausen erreicht und flüchteten in einen Erdbunker gegenüber dem Schreiberschen Gut

Wir hockten auf der Erde, meine Mutter legte unsere Köpfe auf ihren Schoß und beugte ihren Kopf darüber. Wenn eine Bombe uns treffen sollte, dann sollte sie uns alle drei töten. Wenn es zwischendurch etwas ruhiger wurde, krochen mein Bruder (6) und ich (5) ans Tageslicht. Der bis heute nachwirkende Anblick der brennenden Stadt. Darüber die unzähligen sogenannten Christbäume.

Dieses Bild der brennenden Stadt hat sich tief in meine Seele eingebrannt.

Nordhausen danach - vor 77 Jahren wurde die Stadt bombardiert (Foto: Werner Steinmann/Stadtarchiv Nordhausen) Nordhausen danach - vor 77 Jahren wurde die Stadt bombardiert (Foto: Werner Steinmann/Stadtarchiv Nordhausen)


Das Rosenthal'sche Haus wurde auch am 4. April nicht direkt getroffen, so dass auch mein Großvater überlebte. Direkt vor das Rosenthal'sche Haus war eine Bombe gefallen, das alte und das neue Rathaus, die Nikolaikirche, die Commerzbank usw. wurden getroffen bzw. zerstört. Die Wohnung meines Großvaters war erhalten geblieben, wenngleich Türen und Fenster durch den Luftdruck herausgesprengt worden waren. Um 14.00 Uhr gab es wieder Fliegeralarm, Sirenen konnten die Bürger nicht warnen, weil auch das E-Werk getroffen wurde. Viele flüchteten in die Keller der Malzfabrik. Mein Großvater machte sich nun auch auf den Weg nach Heringen,um ein Fuhrwerk zu organisieren, was in Nordhausen nicht mehr möglich war, um aus der Wohnung so viel wie möglich zu retten.

Das Rosenthal'sche Haus in Nordhausen vor dem Krieg (Foto: Gisela Hartmann) Das Rosenthal'sche Haus in Nordhausen vor dem Krieg (Foto: Gisela Hartmann) In Heringen stellte ihm die Domäne ein Pferdefuhrwerk zur Verfügung. AIs er am 05. April nach Nordhausen zurückkam, stand auch das Rosenthal'sche Haus in Flammen. Erst an diesem Tag hatte wahrscheinlich durch Funkenflug der Brand das ganze Haus erfasst. Am 3.und 4. April 1945 haben britische Flugzeuge insgesamt 2428 Tonnen Sprengbomben und 31 Tonnen Brandbomben abgeworfen. Es verloren 8 800 Menschen ihr Leben (14% der Bevölkerung), von 14 300 Wohnungen wurden 6200 völlig zerstört, 4 600 schwer und 1 200 leicht beschädigt. Die Zivilbevölkerung wurde schwer getroffen und große Teile der Kulturgüter der 1000jährigen Stadt wurden zerstört. Nur eine Woche später zogen die amerikanischen Truppen in die Stadt ein.

Die Stadt der Treppen und Brunnen, am Fuße des Harzes und vor ihren Toren die Goldene Aue, durchzogen vom silberglänzenden Band der Zorge, sie verlor in den Apriltagen 1945 viel von ihrer ursprünglichen Schönheit und ihrer bedeutenden historischen Bausubstanz.

Damals war es Hitler, in Vietnam waren es die Amerikaner, heute ist es Putin in der Ukraine. Das Opfer von Aggressoren ist immer die Zivilbevölkerung. Das Leid, der Verlust hören mit dem Ende des Krieges nicht auf. Sie wirken lebenslang!!

Die Menschheit braucht dringend eine weltweite Friedensbewegung, denn die Pandemie und der Klimawandel brauchen jetzt die gebündelte Kraft der Völker. Die Natur wird ihren Krieg gegen die Menschen gewinnen, wenn wir die Forderung der Jungen Generation nicht hören und uns nicht auf den weltumspannenden Überlebenskampf einlassen.

Gisela Hartmann
(eigene Erinnerungen und aus den Lebenserinnerungen meines Großvaters Wilhelm Brick)