Studie untersucht Wasserstoffantrieb für Harzquerbahn

Mit Raketentechnik durch den Harz?

Freitag
25.02.2022, 08:00 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Rund eine Million Fahrgäste befördern die Dampfloks der Harzer Schmalspurbahnen jedes Jahr. Unter Volldampf schnaufen die historischen Fahrzeuge bis auf den Brocken hinauf und das seit mehr als einhundert Jahren. Doch so langsam muss man sich Gedanken über die Zukunft machen und die könnte im Wasserstoff liegen…

Volldampf bald mit Wasserstoff? - an der Nordhäuser Hochschule hat man untersucht, ob das möglich ist (Foto: nnz-Archiv) Volldampf bald mit Wasserstoff? - an der Nordhäuser Hochschule hat man untersucht, ob das möglich ist (Foto: nnz-Archiv)


Bis zu drei Tonnen Kohle verfeuert eine Harzer Dampflok jeden Tag. Insgesamt 25 historische Zugmaschinen besitzt man bei den Harzer Schmalspurbahnen (HSB), 17 davon sind im Wechsel im Einsatz. Über das Jahr kommt da einiges zusammen, um die 1,4 Millionen Euro kostet der Rohstoffhunger pro Jahr, Tendenz steigend.

Als Traditionsunternehmen müsse man sich deswegen Gedanken machen, wie man auch in den nächsten 30 Jahren noch mit Dampf durch den Harz fahren kann, erklärte gestern Nachmittag Norman Just, der technische Leiter der HSB an der Nordhäuser Hochschule. Die Eisenbahner stehen nicht alleine mit der Frage, auch der Landkreis muss überlegen, wie der Verkehr in Zukunft möglichst effizient und CO2-neutral funktionieren kann.

Zum Glück hat man mit den Wissenschaftlern der Hochschule kompetente Fachleute direkt vor Ort. Auf dem Campus hat man sich eben jene Gedanken im vergangenen Jahr gemacht und untersucht, ob sich die historischen Bahnen nicht auch anderweitig antreiben lassen. Die Kosten von rund 45.000 Euro hat das Thüringer Umweltministerium übernommen.

Im Fokus der Untersuchung stand dabei vor allem Wasserstoff als Alternative. Der Ausbau des Wasserstoff-Mobilität steht ohnehin auf der Agenda, der Sprung zu den ikonischen Lokomotiven des Harzes war da kein weiter.

Die Vorgaben
Die einfache Antwort auf die Wasserstoffproblematik lautet: Ja, das geht. Die tatsächliche Fragestellung war freilich etwas komplexer und entsprechend vielschichtig fielen gestern die Antworten der Wissenschaftler aus.

Problem Nummer eins: die Fahrzeuge stehen unter Denkmalschutz, auch die „Neubaulokomotiven“ der Baureihe 99 72, aus den 1950er Jahren, an denen man sich technisch orientierte. Dem Gestaltungsspielraum der wissenschaftlichen Überlegungen sind damit schon einmal enge Grenzen gesetzt.

Problem Nummer zwei: das „Gefühl“ muss stimmen. Das schnaufen, zischen, pfeifen, rattern und tuckern der Dampflokomotiven gehört zum Klangteppich des Harzes und macht für viele Technikliebhaber und Touristen überhaupt den Reiz der alten Bahnen aus. Also: ohne eine ordentliche Dampfwolke und die passende Geräuschkulisse geht es nicht.

Problem Nummer Drei: Wenn man schon weg muss von der Kohle, dann sollten alternative Antriebstechniken auch effektiver funktionieren. Die technische Entwicklung gibt das noch nicht in allen Bereichen her.

Die Lösungen


Das Team um die Professoren Thomas Link und Rainer Große und Hinderike Hauer-Berghuis hat mehrere Szenarien durchgerechnet und konnte gestern eine Reihe an denkbaren Ansätzen vorstellen.

Die Präsentation der Ergebnisse übernahmen Professor Thomas Link und Hinderike Hauer-Berghuis (Foto: Fabian Kruse) Die Präsentation der Ergebnisse übernahmen Professor Thomas Link und Hinderike Hauer-Berghuis (Foto: Fabian Kruse) Variante A: Den Brennstoff ersetzen
Die erste Fragestellung ist die offensichtliche: was, wenn man die Kohle einfach durch Wasserstoff ersetzt? Wie gesagt, das geht. Die Technik bliebe prinzipiell die gleiche: Wasser wird erhitzt, es entsteht Dampf, der Dampf treibt einen Expansionskolben an, die Räder drehen sich. Die ausführliche Antwort geht aber leider mit einem ganz großen „Aber“ einher.

Zum einen muss man sehen, wie der Wasserstoff gelagert und transportiert werden kann. Bleibt der Wasserstoff gasförmig, ist die Energiedichte gering und der Platzbedarf hoch. Um per Steinkohle eine Megawattstunde Energie zu erzeugen, braucht man knappe 120 Liter Stauraum. Bei gasförmigen Wasserstoff wäre man für die gleiche Leistung bei einem Volumen von rund 1140 Litern. Viel zu groß also. Bliebe die Möglichkeit, den Wasserstoff flüssig zu lagern. Dafür muss das Gas auf - 253 Grad Celsius heruntergekühlt werden. Entsprechende „Cryotanks“ gibt es, aber der Platzbedarf wäre mit 500 Litern immer noch groß.

Zum anderen wäre der Wirkungsgrad des Wasserstoffs im Vergleich zur Kohle niedriger. Das heißt: man würde für die gleiche Leistung mehr Wasserstoff benötigen. Dafür bräuchte man mehr Stauraum und den haben die historischen Lokomotiven einfach nicht. Könnte man Zwischentanken, stiege der Wirkungsgrad. Aber dafür bräuchte es an der Strecke die entsprechende Infrastruktur in Form von Tankstellen.

Man müsste also den Wirkungsgrad erhöhen. Mehr Wirkung bedeutet weniger Material, bedeutet weniger Platzbedarf. Was also, wenn man Teile der Technik ersetzt? Zum Beispiel den Dampferzeuger. Auch das geht, die entsprechende Maschinerie ist existent. Aber sie ist fast so groß wie die ganze Lok. Eine einfache Umstellung auf Wasserstoff ist unter den gegebenen Bedingungen also nicht praktikabel.

Variante B: Druckluft
Für den zweiten Lösungsweg hat man sich der Problematik von der technischen Seite genähert. Was, wenn man statt Dampf Druckluft nutzen könnte? Bei diesem Verfahren würde man weniger Energie über den Schornstein verlieren. Über eine Brennstoffzelle betreibt man in einen Elektromotor, der die Luft in einem Verdichter komprimiert, von wo aus diese dann den Expansionskolben treiben kann. Wieder rollen die Räder. Der Wirkungsgrad würde von unter fünf Prozent unter Steinkohle auf beachtliche 13 Prozent steigen. Der Tank könnte also kleiner sein.

Ein Problem weniger. Leider hat man zwei neue. Der Motor und der Verdichter fallen vergleichsweise groß aus, die Platzersparnis ist also schnell wieder dahin. Außerdem wird nur rund ein zehntel der gewohnten Dampfmenge erzeugt und die Geräuschkulisse wäre eine andere. Man müsste also Abstriche bei der Authentizität machen. Die Betriebskosten wären in etwa die gleichen, wie bei der Kohlebefeuerung.

Variante C: Hydraulik
Deutlich effektiver wäre ein Hydraulikantrieb der über Pumpe und Zylinder funktioniert und die Kolben ersetzt. Der Systemwirkungsgrad wäre höher und auch vom Platz her würde alles passen. Aber: die Abstriche an das „Gefühl“ wären massiv. Im Grunde wären die Harzquerbahnen dann keine Dampflokomotiven mehr. Also auch hier: keine wirkliche Option.

Variante D: Raketentechnik
Eine weitere Möglichkeit wäre der Einsatz von „Raketentechnik“ oder „Oxyfuel“. Das klingt im ersten Moment exotischer als es tatsächlich ist. Bei diesem Ansatz würde man Wasserstoff und Sauerstoff in einer Hochdruckbrennkammer verfeuern, eben wie bei einer Rakete. In der Industrie habe das Verfahren schon seit einiger Zeit Einzug gehalten, erklärte Professor Link. Der Vorteil aus Sicht der Wissenschaftler liegt darin, dass sich die Komponenten sehr genau justieren lassen. Der Nachteil: es entstehen Temperaturen von 3.000 bis 4.000 Grad Celsius, deutlich mehr als die 370 Grad Celsius, welche die Bahnen aktuell in der Spitze aushalten müssen. Mit einem Wärmetauscher und der Zirkulation von kaltem Dampf wäre das Problem in den Griff zu bekommen. Die Komponenten wären groß aber nicht überdimensioniert, der Wirkungsgrad nur minimal besser als unter der Steinkohle und die Betriebskosten aller Wahrscheinlichkeit nach höher.

Variante E: Weg vom Wasserstoff
Unter den Maßgaben des Projektes ist der Wasserstoff also in vielerlei Hinsicht problembehaftet. Die Wissenschaftler haben sich deswegen auch einige denkbare Alternativen angesehen. Das ein Betrieb mittels flüssigem Treibstoff möglich ist, hat die Vergangenheit gezeigt. In den 70er Jahren wurden die Dampflokomotiven per Öl betrieben, nach den Preiskrisen wurde in den 80er Jahren aber wieder auf Kohle umgerüstet. Biomethan oder Biodiesel aus Biomasse wäre also eine Alternative. Ein anderer Weg könnte der Einsatz von synthetischen Brennstoffen sein. In den Fachkreisen ist das Verfahren unter dem Begriff „Power to X“ gerade „im kommen“, wie sich Professor Große ausdrückte. Alternative Nummer Drei könnte sogenannte „Pyrolyse-Kohle“ sein.

Nah dran am Original
Die letzte Variante wäre dann auch die, mit der man bei der HSB am ehesten leben könnte. Die „Pyrolyse-Kohle“ lässt sich mit herkömmlichen Kohlebrickets vergleichen, große technische Veränderungen an den Fahrzeugen müsste man also gar nicht vornehmen. Zur Herstellung könne man auch hier CO2 neutral Biomasse einsetzen und die muss nicht frisch vom Feld kommen. Sowohl „Altholz“ als auch Stoffe wie Pferde- oder Kuhmist kämen in Frage und wären zumindest für den Bedarf der HSB mehr als ausreichend vorhanden, erläuterte Dr. Christian Borowski, der sich mit dem Verfahren am Wertstoffzentrum der Hochschule befasst. Mit 33.000 Tonnen Kuh- oder Pferdemist ließe sich ausreichend Pyrolyse-Kohle herstellen. Zum Vergleich: allein in Thüringen fallen jedes Jahr 300.000 Tonnen Mist an. Ähnlich sind die Verhältnisse im Bereich Altholz - von den neun Millionen Tonnen die landesweit jährlich anfallen, bräuchte man rund 20.000 Tonnen um den Bedarf zu decken.

Auch hier gibt es ein „Aber“. Es gibt zwar Anbieter am Markt, aber die Nutzung und damit auch das Angebot bewegen sich im Nischenbereich. Auch beim Massebedarf bestehen noch Fragezeichen. Ob die Alternativ-Kohle wirklich eine tragbare Option sein kann, will man im zweiten Teil der Studie demnächst herausfinden. Bei der HSB steht man zumindest dem Versuch offen gegenüber, ein Feldversuch ließe sich ohne viel Aufhebens durchführen, meint der Technikchef der HSB, Norman Just. Rund sechs Tonnen Material bräuchte man für so einen Testlauf.

Das sich etwas ändern muss, scheint klar. Die Preise für Steinkohle steigen stetig, ein Ende ist nicht abzusehen. Und der Rohstoff ist endlich, bis in alle Ewigkeit wird man nicht mit Kohle in den Harz fahren können. Die Raketentechnik mag es nicht werden, aber eine Alternative muss früher oder später gefunden werden.
Angelo Glashagel