Heute soll der russische Einmarsch in der Ukraine beginnen

Was will er denn nun, der russische Diktator?

Mittwoch
16.02.2022, 08:45 Uhr
Autor:
osch
veröffentlicht unter:
Seit Tagen gibt es neben dem schwächelnden Corona-Virus ein zweites weltbewegendes Thema: den bevorstehenden Krieg in der Ukraine. Laut CIA wird Putin heute sein Nachbarland überfallen. So sicher wie der Irak damals Chemiewaffen hatte …


Es wird jeden Moment losgehen. Der üblicherweise am besten informierte Geheimdienst der Welt hat es verkündet! Die CIA weiß den Zeitpunkt des Angriffs der Russen auf die Ukraine genau zu benennen und warnt davor, dass die Russen es so machen könnten wie die Nazis 1939. Damals verkleideten sich Deutsche als Polen und überfielen ihren eigenen Radiosender in Gleiwitz. Grund genug für Hitler, in Polen einzumarschieren. Und nicht nur das: vom Osten her rollten damals auch die Panzer der Roten Armee (durch die Ukraine kommend!) in Polen ein.

Das gleiche Szenario einer false-flag-Operation (auf deutsch: eigene Verbrechen unter der Flagge des Feindes begehen) werfen Putins Russen allerdings ebenso den Amerikanern und Ukrainern vor. Es wird also krampfhaft ein Vorwand für einen Krieg gesucht und jede Seite beschuldigt die andere der Maskierung ihrer Absichten. Je nachdem, wo man Nachrichten liest, steht „der Russe“ bis an die Zähne bewaffnet an der ukrainischen Grenze oder der ukrainische „Banderas-Faschist“ will die indigenen Russen in der Ostukraine abmetzeln.

Die NATO sendet ein Lebenszeichen und warnt über ihren Generalsekretär die Russen. Die Amerikaner schicken neue Troopers nach Europa und verlegen Kampfjets näher an Russland heran. England liefert Panzerabwehrwaffen an die Ukraine, Deutschland schickt 5 000 gebrauchte Helme. Putin läßt im Gegenzug beeindruckende Manöver mit zigtausend Soldaten rings um die Ukraine abhalten. Die drei baltischen Staaten halten lautstark den Atem an und fordern dann effektiveren Schutz der NATO, der EU und der ganzen Welt vor dem bedrohlichen Aggressor. Die Weltpresse und ihre befreundeten Fernsehsender fürchten das Schlimmste; jeden Tag und immer schriller, so lange der Angriff nicht endlich erfolgt.

Die Diplomaten lassen ihre Zahnbürste gleich im Regierungsflieger und jetten für den Frieden kreuz und quer um die Welt. Deutschlands Aussenministerin Baerbock ist vor Ort, schaut nachdenklich über ihre Mund-Nasen-Bedeckung und - bewehrt mit einer bauchfreien Schussweste - von der ukrainischen Grenze nach Osten ins Reich des Bösen. Auch der amerikanische Präsident, der vor Zeiten als Vizepräsident schon eine Ukraine-Krise meistern und seinen Sohn dort installieren musste (damit der den korrupten Oligarchen um Schokoladenfabrikant Poroschenko genau auf die Finger schaut); er ist schwer besorgt. Biden droht Putin am Telefon, seine GIs nicht in einem Krieg in der Ukraine einzusetzen. Kein Amerikaner würde für die Ukraine sterben, soll er gesagt haben. Nun fragt sich Putin verdattert, wer will denn dann?

Aluminiumhüte tragende Verschwörungstheoretiker behaupten unterdessen, es ginge nur um Erdgas. Angeblich wollten die Ukrainer und Polen verhindern, dass eine neue Erdgaspipeline aus Russland Westeuropa mit dem begehrten Rohstoff versorgen könnte, ohne dass die beiden Durchgangsstaaten Transitgebühren erhöben. Noch krudere Märchen verbreiten diejenigen, die erzählen, die Amerikaner wollten die Inbetriebnahme der neuen Pipeline verhindern und angeblich ihr eigenes durch umweltschädliches Fracking gewonnenes Produkt an die Europäer verkaufen.

Gestern war Bundeskanzler Scholz im Kreml und machte Putin klar, auf welcher Seite Deutschland unverbrüchlich stehen wird in einem militärischen Konflikt und was das für Russland für Konsequenzen haben können würde. Parallel dazu marschierten einige der satellitengezählten 100 000 russischen Soldaten von der Grenze des Nachbarland aus los. Allerdings in die andere Richtung, also gen Moskau.

Offenbar ist der Diktator im Kreml von der hohen Kunst der deutschen Diplomatie so beeindruckt, dass er die Einverleibung der Ukraine in sein Machtgebiet vorerst verschiebt. Oder er will einfach vertragsgerecht weiter sein Gas liefern und dafür ordentliches Geld kassieren, das seine Staatskasse dringend benötigt? Oder er will eine weiteren Besuch unserer Außenministerin vermeiden? Oder er hat die Welt jetzt genug aufgemischt und alle an der Nase herumgeführt und kann vor Lachen nicht mehr ernst bleiben? Oder er hat irgend einen anderen Grund, den er wieder einmal der Weltpresse nicht mitteilt.

Typisch ehemaliger Geheimdienstler: keine Offenheit, keine Ehrlichkeit. Denn dass er den ganzen Truppen- und Medienaufmarsch inszeniert hat, weil er von der NATO verbindliche Zusagen will, sich wie 1990 angelegentlich der deutschen Wiedervereinigung versprochen nicht immer weiter nach Osten auszubreiten und eventuell einen unsicheren, politisch und gesellschaftlich instabilen Kandidaten wie die Ukraine aufzunehmen, muss ja wohl in die strafbewährten Bereiche der fake news verwiesen werden.

Warum dann letztendlich nur 368 von1847 nnz-Lesern, die an der letzten Umfrage teilgenommen haben, der Argumentationslinie der westlichen Verbündeten folgen wollen und 1 293 nicht, kann ich nicht erklären.
Olaf Schulze