Aufräumarbeiten im Untergrund

Im Herzen der Stadt

Donnerstag
17.02.2022, 11:30 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Wer dieser Tage durch die Altstadt spaziert, kann einen seltenen Blick in die Nordhäuser Geschichte erhaschen: im Splitterschutzgraben unter dem Spendekirchhof wird gearbeitet. Die nnz hat erfahren warum…

Wieder unter Tage - Michael Garke am Eingang zum alten Splitterschutzgraben in der Barfüßerstraße (Foto: agl) Wieder unter Tage - Michael Garke am Eingang zum alten Splitterschutzgraben in der Barfüßerstraße (Foto: agl)

Wer dieser Tage mit offenen Augen durch die Altstadt spaziert, dem mag eine Tür auffallen, wo sonst nur ein Bretterverschlag zu sehen ist. Die führt durch die uralte Mauer des Spendekirchhofs in die Nordhäuser Geschichte, denn hinter der Pforte verbirgt sich ein gedeckter Splitterschutzgraben aus dem zweiten Weltkrieg.

Eigentlich kommt hier niemand rein. Seltsam also, dass die Türe offen steht. Und das Stimmen aus dem Inneren zu hören sind. Und eine Stimme kommt unserem Redakteur sehr bekannt vor: die von Michael Garke, dem einen oder anderen vielleicht besser als Nordhäuser Roland bekannt. Manchmal ist man zur rechten Zeit am Ort.

Garke gibt nicht nur das Nordhäuser Wahrzeichen, er ist auch Fotograf und wohl bewanderter Stadthistoriker. Und er weiß, was es mit dem ominösen Tunnel auf sich hat. Während des zweiten Weltkrieges sollte der betonierte Gang im Herzen der Nordhäuser Altstadt rund 200 Personen Schutz vor Druckwellen und Bombensplittern bieten. Drei mal 15 Meter ist die Anlage lang und eigentlich sollte man hier gar nicht fußen können. Per Anordnung der sowjetischen Besatzer hätte der Tunnel nach dem Krieg verfüllt werden sollen aber sonderlich viel Mühe hat man sich damals offensichtlich nicht gegeben.

In dem schmalen Gängen kann Frank Schubert nur per Hand arbeiten.  (Foto: agl) In dem schmalen Gängen kann Frank Schubert nur per Hand arbeiten. (Foto: agl)


Zu diesem Schluss kam Michael Garke schon 2019, als der Gang unter dem Spendekirchhof wiederentdeckt wurde. Nicht tonnenweise Erdreich, sondern lediglich drei magere Häufchen von je gut zwei Metern Höhe versperrten dem Fotografen damals den Weg, als dieser die Anlage zum ersten Mal erkunden konnte. Scheinbar hatte man die drei Schornsteine des Schutzgrabens abgerissen und die Löcher als Einwurf für das Füllmaterial benutzt.

Nachdem Fund befasst sich Garke näher mit dem Thema und kann in den Aufzeichnungen drei weitere Anlagen ausfindig machen, die aber nicht mehr zugänglich sind. Aus den Recherchen ist eine Vortragsreihe und ein Buch zum „Nordhäuser Unterwelten“ geworden.

Heute war Garke nun wieder „unter Tage“. Das Erbe des Krieges im Untergrund hat ihm keine Ruhe gelassen. Mit der Zeit ist die Idee gewachsen, das alte Gemäuer wieder zugänglich zu machen. „Wir haben in Nordhausen, trotz eines Zerstörungsgrades von über 75 Prozent, heute kaum noch greifbare Spuren des Weltkrieges“, erzählt der Historiker. Sein Traum: das gut erhaltene Relikt wieder zugänglich machen und für die Bildungsarbeit in der Stadt nutzen. Fühlbar machen, wie es gewesen sein muss: dich gedrängt und bange hoffend, dass die Erschütterung der Bombeneinschläge bald enden mögen.

Doch die Idee bleibt bis auf weiteres ein Traum. Die Beräumung der Anlage ist nicht für die breite Öffentlichkeit gedacht, sondern für das Fachpersonal. Die Statiker sollen einen Blick auf die Betoneinfassungen werfen können, ohne dabei über Schutthaufen kriechen zu müssen. Schließlich soll oben drüber einmal gebaut werden. Eigentümer des Spendekirchhofes ist heute die Städtische Wohnungsbaugesellschaft und auf dem Gelände soll einmal die Mensa für das Humboldt-Gymnasium errichtet werden. Wann, das steht noch offfen.

Im Moment geht es vor allem um die Pflichterfüllung als Eigentümer, erklärt SWG-Chefin Inge Klaan. Die Fläche über der alten Anlage hat man bereits für den Verkehr gesperrt, man will und muss auf Nummer sicher gehen. Im Untergrund sollen neben den Statikern auch die Archäologie und der Kampfmittelräumdienst einen Blick auf den Tunnel werfen. Freilich, mit einem statischen Gutachten kann man auch vorarbeiten. Nach den bisherigen Plänen würde die Mensa des Gymnasiums in jedem Fall bis auf den untertunnelten Grund und Boden
reichen. Wie aktuell die nach dem Fund heute noch sind, lässt sich nicht sagen. Bauherr wäre der Landkreis als Schulträger, nicht die SWG. Das die Anlage Potential hat, sieht auch Inge Klaan, bevor aber nicht klar sei, wie sich der Zustand des Grabens tatsächlich darstelle, mache es wenig Sinn, sich zu einer eventuellen Nutzung Gedanken machen. Und selbst wenn die Statiker ihr Okay geben, würde das noch kein grünes Licht bedeuten. Auch Dinge wie der Brandschutz spielen heute eine Rolle, es müssten Konzepte erdacht, geschrieben und abgesegnet werden - mit anderen Worten: das kann dauern.

Der Idee Garke’s gegenüber ist man bei der SWG aber immerhin aufgeschlossen. Der Historiker ist an den Aufräumarbeiten beteiligt und hat sich in den letzten Tagen mehr als ein gutes dutzend mal an den Erdhaufen vorbeigedrängt um eine behelfsmäßige Beleuchtung zu installieren. Den ersten Schuttberg hat man inzwischen abgetragen und dabei interessante Entdeckungen gemacht. Die Bauarbeiter haben nach dem Krieg scheinbar den Aushub der Erbauer auch wieder zum verfüllen verwendet. Eindeutige Hinweis dafür geben menschliche Überreste die sich zwischen dem Dreck fanden - der Schutzgraben wurde direkt in den Friedhof des alten Franzsikanerklosters getrieben, dessen Ruinen bis heute auf dem Spendekirchhof zu sehen sind.

In den Erdhaufen fanden sich auch Knochen - zum verfüllen wurde scheinbar der Aushub aus Friedhofserde verwendet (Foto: agl) In den Erdhaufen fanden sich auch Knochen - zum verfüllen wurde scheinbar der Aushub aus Friedhofserde verwendet (Foto: agl)


Garke hofft, dass man die Idee der Öffnung zu Bildungszwecken im Hinterkopf behält. Der Zeitpunkt sei eigentlich günstig, schließlich ist man in der Stadt ohnehin dabei, die Geschichte der Bombardierung durch hauptamtliche Historiker unter die Lupe nehmen zu lassen. Das beides aufeinander fallen könnte, Studie und Öffnung des Tunnels, ist aber äußerst unwahrscheinlich. Bevor die breite Öffentlichkeit einen Blick in den Untergrund wagen kann, können noch Jahre ins Land gehen. Wenn es überhaupt dazu kommt.
Angelo Glashagel