Olaf Schulze über Silvesterbräuche und ihre Herkunft

Wäsche verdreckt, aber rauchen!

Freitag
31.12.2021, 07:00 Uhr
Autor
osch
veröffentlicht unter:
Nachdem wir in den letzten Tagen schon einiges über die „Wilde Jagd“ gelernt haben, wollen wir uns am letzten Tag des Jahres den Rauh- oder Rauchnächten zuwenden, an denen die reitende Horde unterwegs sein soll. Und zusätzlich einigen überlieferten und heute eher lustigen Bräuchen …

Heute Nacht geht sie ab: Die Wilde Jagd  (Foto: Teufel) Heute Nacht geht sie ab: Die Wilde Jagd (Foto: Teufel)

Beim Namensursprung der Rauhnächte wird von der mittelhochdeutschen Bezeichnung »rûch« (neuhochdeutsch: haarig) ausgegangen. Das dürfte sich auf die pelzige Erscheinung der Dämonen beziehen, welche in dieser Nacht von alters her umhergeistern und diverse Wollmäuse in den Ecken der Stuben hinterließen. Das Wort könnte jedoch auch von Rauch bzw. räuchern abgeleitet sein. Was erklären würde, warum gerade in dieser Jahreszeit früher so oft geräuchert wurde.

Die Anzahl von zwölf Nächten geht auf den germanischen Kalender zurück, in dem ein Wechsel von Mond- und Sonnenjahr verankert war. Das Mondjahr hatte nur 354 und das Sonnenjahr 365 Tage. Daraus ergibt sich eine Differenz von elf Tagen und zwölf Nächten. Eine »tote Zeit« oder auch wie heute noch üblich im Sprachgebrauch die »Zeit zwischen den Jahren«. Selbst der alte Shakespeare wusste davon und nannte seine Komödie »Was ihr wollt« im Untertitel »The Twelfth Night«.

Natürlich kam auch dem praktizierenden Christentum diese Anzahl sehr gelegen, als es die heidnischen Gewohnheiten assimilierte. Denn die Zahl zwölf spielt auch in dieser Religion eine zentrale Rolle: Es gab beispielsweise die zwölf Stämme Israels, die zwölf Jünger Jesu, die zwölf Apostel und Ocean's 12 im Kino.

Inmitten der Rauhnächte liegt Silvester und zu diesem Zeitpunkt sollte laut vorchristlichem Glauben die sogenannte »Wilde Jagd« beginnen, denn es wurde gemutmaßt, die Seelen der Toten und die Geister hätten dann Ausgang und suchten die Welt der Lebenden und ihre Partys heim. Weshalb die neue Bundesregierung ja auch eine Schließzeit der Gastronomie ab 22 Uhr verfügt hat. Da können sich die Fieslinge mal ruhig bis zum Neujahrsmorgen um 5 Uhr in der Kälte die Beine in den Bauch stehen. Hoffentlich erwischt sie alle das Corona-Virus!

Vielleicht sollte mit den Gruselgeschichten aber auch nur ein bisschen Dramatik am Lagerfeuer erzeugt und die Kinder von eigenmächtigen Ausflügen in den Schneesturm abgehalten werden. Passend dazu kursierte die Annahme, dass Menschen, die mit dem Teufel paktierten, während der Rauhnächte ihre Gestalt in Werwölfe, Politiker und andere magische Wesen verwandeln könnten.

Davon blieb der heute noch gepflegte Brauch erhalten, sich am Heiligabend einen roten Kaftan überzuwerfen, eine schiefhängende Pappgesichtsmaske mit langem weißen Bart (in diesem Jahr auch alternativ mit einer weißen FFP-2-Maske) umzuschnallen und mit Rucksack und Rute bewaffnet die kleineren Kinder zu beschenken oder zu erschrecken. Und sich ansonsten komplett lächerlich zu machen.

Die Bräuche in den Rauhnächten


Verbot des Wäschewaschens
So wie uns dieses Jahr das Böllern verboten ist, war den alten Germanen an Silvester und den sechs Tagen davor und danach das Wäschewaschen untersagt. Die „Wilde Jagd“ um Göttervater Wodan hätte die kostbaren Bekleidungsstücke und Bärenfelle sonst in ihrem ungestümen Galopp über den Himmel mit sich nehmen und sonstwo verteilen können, wurde behauptet. Eine andere Sage will uns dagegen weismachen, die Frau Holle verwandele alle Wäschestücke, deren sie in dieser Zeit ansichtig würde, in Leichentücher und in den betreffenden Haushalten gäbe es bald Tote zu beklagen.

Vermutlich hat sich hierbei die germanische Hausfrau die eine oder andere Geschichte ausgedacht, um in der festlichen Zeit (man feierte ja bekanntlich die Wintersonnenwende am 21. Dezember als Großereignis) neben den vielen Essensvorbereitungen an der heimischen Herdstelle nicht auch noch die Fußlappen des alten Häuptlings schrubben zu müssen.

Einiges zu Ordnung und Sauberkeit
Weil sich die dunklen Gestalten der Rauhnächte in Chaos, Unrat und allgemeiner Unordnung am wohlsten fühlen, sollte das Langhaus zu dieser Zeit schön aufgeräumt und geputzt sein. Nicht dass der eine oder andere Geist angesichts vertrauter chaotischer Dreckecken am Ende dableiben und sich am allabendlichen Metumtrunk beteiligen wollte.

Auch das war sicherlich ein am Lagerfeuer ersonnener Trick der mittelalten Germanen, um die pubertierenden Sprösslinge für die ungeliebte Hausarbeit zu begeistern.

Das Räuchern
Für das Räuchern liegt der Ursprung ebenfalls in rauchverhangener Vorzeit. Der traditionell entfachte Qualm sollte vor Geistern und Dämonen schützen. Eventuell auch vor ungebetenem Besuch über die Feiertage; aber das ist jetzt eine reine Spekulation von mir und nicht wissenschaftlich überprüft. Mit bestimmten Kräutern und Harzen wie Weihrauch, Wacholder, Myrrhe, Beifuß, Tannen- oder Kiefernharz sollen unsere Ahnen den uneingeladenen Unholden zu Leibe gerückt sein.

Vielleicht war es aber auch einfach im Dezember endlich an der Zeit, mal den muffigen Gestank des alten Jahres aus der Hütte zu bekommen, die in den nächsten bitterkalten Monaten kaum verlassen werden konnte.

Die Christen übernahmen auch diesen Brauch ohne mit der Wimper zu zucken und ließen die Gläubigen später ihre übers Jahr gesammelten Kräuter an Mariä Himmelfahrt in der Kirche weihen, ehe sie ihre Wohnungen damit zwischen den Jahren vernebelten. Heute ist davon immerhin noch das vor sich hinstänkernde Räuchermännchen übrig geblieben.

Hang zur Wahrsagerei
Weil es draußen kalt und dunkel, und drinnen vermutlich ziemlich langweilig war, wurde die Zeit der Rauhnächte genutzt, um dem Orakeln und Wahrsagen zu frönen. So pulten die Leute unter anderem im Magen der Weihnachtsgans herum, um Auskünfte über die Zukunft zu erhalten. Der Inhalt des Verdauungsorgans sollte etwa voraussagen, ob das nächste Jahr fruchtbar wird oder eine exorbitante Preissteigerung bei Honig und dekorativen Bärenzahnkettchen zu erwarten wäre. Bis heute ist der Brauch des Bleigießens als kleiner Exkurs in die Informationsquellen früherer Epochen am Silvesterabend etabliert.

Über sprechende Tiere
Sehr interessant ist auch die Überlieferung der »Lüttenweihnacht« oder auch Tier-Weihnacht, die auf die Nacht vom 27. zum 28. Dezember datiert ist. In dieser Nacht sollen sehr alten Zeitungen zufolge Tiere die menschliche Sprache sprechen und die Zukunft prophezeien können. Viele Beweise dafür werden sich allerdings nicht auftreiben lassen. Wir schreiben Ihnen das auch deshalb erst heute, damit Sie nicht versuchen, es selbst zu überprüfen. Leider mussten bisher alle Menschen sofort sterben, die in dieser Nacht Zeugen etwaiger Diskussionsrunden unter Hühnern und Schweinen geworden sind. Was den Aufwand des Zuhörers dann ja doch irgendwie nicht rechtfertigt.

Lärm und Krach in der Silvesternacht
Um die Monster, Dämonen, Untoten, Werwölfe, Finanzberater, Hexen, Teufel und anderen Bösewichter zu vertreiben, veranstalteten die Menschen seit alters her viel Krach und Lärm in der Silvesternacht. Erst weil sie sich betrunken das heiße Blei versehentlich auf die Hose tropften und später, weil sie herausgefunden hatten, dass man auf einem umgedrehten Kochtopf stundenlang herumtrommeln konnte.

Was irgendwann zwangsläufig zur Erfindung des Schlagzeugs mit Hänge-Tomtom, Basstrommel und Becken sowie Feuerwerken und Knallbonbons und der segensreichen Entwicklung der Polen-Böller führte. Wenn diese letzteren nun aber in einer solchen Nacht wie heute verboten sind, welche bösen Geister mögen dann wohl im nächsten Jahr über uns kommen...?
UI UI UI!?!
Olaf Schulze