Frau Humboldt in Auleben

Freitag
26.03.2021, 19:05 Uhr
Autor
red
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Am 26. März 1829 endete das Leben einer außergewöhnlichen Frau, der Caroline von Humboldts, im Schloss in Tegel. Als Erinnerung an diese Persönlichkeit möchte Heidelore Kneffel an einen Aufenthalt in Auleben Mitte Oktober 1814 erinnern...

„... daß doch ja Keiner richten wolle über den Anderen! Jede Hülfe leisten, jede Freude spenden, mit der man von Herzen zu Herzen dringt, jede Thräne ehren,... jedes Gemüth, soweit man es erkennt, zu begreifen suchen, streng gegen sich, nachsichtig gegen Andere.“ Diese Lebenserkenntnis der Caroline von Humboldt, in der sie auch ihre Kinder erzog, kam mir in den Sinn, als ich in ihrem Briefwechsel von einem Ereignis erfuhr, das sie mit ihrer Familie tief traf.

Am 13. 10. 1814 schrieb sie aus Auleben in der Goldenen Aue an ihren Mann, der sich zu der Zeit im diplomatischen Dienst für Preußen in Wien aufhielt. Frau von Humboldt, die nach dem Tod ihres Bruders Ernst 1806 und des Vaters Karl Friedrich von Dacheröden 1809 die Erbin der Dacherödschen Güter war, wohnte mit vier ihrer Kinder vom 12.10. bis zum 22.10. im Renaissanceschloss des Ortes, das ihrer Familie gehörte.

Ihr Mann erfuhr am 13. Oktober 1814 aus Auleben: „Ich bin den 11. früh um 8 Uhr von Rudolstadt nach Erfurt gefahren. Die Fürstin ließ mich fahren, alles war sehr gut, nur die Wege konnte sie nicht besser machen … In Erfurt kam ich bei guter Zeit an, besuchte einige alte Bekannte... Den 12. fuhr ich von Erfurt früh um 5 Uhr ab und kam wohlbehalten hier an, wo ich seit 19 Jahren nicht war. Heute komme ich erst am Abend dazu, Dir zu schreiben. Die Visiten, die Pächter, die Justiz- und Amtsleute reißen sich um mich. Dunker überschwemmte mich mit einer Flut gesammelter Akten und Papiere, er ist durchaus wie der selige Papa. Aber rührend gefreut hat er sich an dem Anblick der Kinder. Der Vorfall mit Therese hat mich so angegriffen, daß ich es Dir nicht genug sagen kann. Die Betrachtung, wie man vielleicht oft an einem gräßlichen Schicksal vorübergeht, ohne es zu ahnden, auf die man kommen muß, wenn einem dergleichen geschieht, hat mich tief erschüttert. Den 7. kam die arme Therese ins Irrenhaus. Mein Abschied von ihr war fürchterlich. Ich glaubte, das Herz bräche ihr, solche auch physische Erschütterungen hatte die Arme...
Ich habe Dir von Rudolstadt, geliebtes Herz, nicht wieder geschrieben, Gott weiß, ich konnte es nicht. Die Fürstin, Caroline, die Schillern, die Lengefeld, alle wollten mich haben und haben mich mit Liebe überhäuft, aber am Abend war ich mehr wie matt...“
Die Briefschreiberin berichtet also ihrem Mann, dass sie und die Kinder von der Fürstin Caroline Luise von Schwarzburg-Rudolstadt, von Caroline von Wolzogen, von Charlotte von Schiller und derer beider Mutter, Frau von Lengefeld, auf dem Rudolstädter Schloss mit Freude empfangen wurden. Mit allen waren die Humboldts seit längerem befreundet und die Neugier war groß, denn seit 1802 hatten man sich nicht gesehen.

Caroline von Humboldt im Porträt (Foto: Heidelore Kneffel) Caroline von Humboldt im Porträt (Foto: Heidelore Kneffel)


Frau von Humboldt erinnert sich in diesem Brief auch an ihre zahlreichen Aufenthalte in der Kindheit und Jugend auf dem Gut ihrer Familie in Auleben. Ausdrücklich erwähnt sie ihr mehrmonatiges Leben dort als Jungvermählte mit ihrem erstgeborenen Töchterchen Caroline vom August 1792 bis zum März 1793, wo es im Schloss auch ein eifriges Griechischtreiben gab, was beide ein Leben lang nicht mehr loslassen wird. Besonders hochleben ließen sie das antike Griechenland damals im Dorf an den Hängen der Windleite um die Weihnachtstage, als sie Besuch hatten von dem klassischen Philologen Friedrich August Wolf, gebürtig aus Hainrode, aufgewachsen in Nordhausen, ein temperamentvoller Mann mit hohem Geist, ein begnadeter Redner, Professor an der Universität in Halle. Europa befand sich im Umbruch, wurde durch Napoleon und seine Kriege in Atem gehalten.

Caroline und die Kinder lebten nach einem achtjährigen Italienaufenthalt seit 1810 mit oder ohne Humboldt in Wien, aber der dort vorherrschende flüchtige gesellige Verkehr mit aufwendigem Lebensstil behagten ihr nicht, zumal der Wiener Kongress ab September 1814, der die politische und territoriale Neuordnung in Europa definieren und festlegen sollte, das noch steigern würde – „Der Kongreß tanzt!“ wird es heißen. Es widerstrebt ihr, angesichts des „Weltgerichtes“, das gehalten wird, dass sich die Leute in Wien damit befassen, welche „Galakleider“ sie sich sticken lassen wollen. In der Stadt drehe sich das Gespräch um die Souveräne, die kommen werden und die Feten, die es dann gäbe. Die Hof- und Ballkleider könne und wolle sie sich nicht leisten und Schmuck besäße sie sowieso nicht, so erfährt es ihr Mann.

Das Humboldt'sche Schloss in Auleben (Foto: Heidelore Kneffel) Das Humboldt'sche Schloss in Auleben (Foto: Heidelore Kneffel)


Am 8. Mai 1814 endet der Mietvertrag in Wien und so setzt sich die Gesellschaft in Bewegung, die aus der Mutter, den drei Töchtern Caroline, Adelheid und Gabriele, dem jüngsten Sohn Hermann, dem Hofmeister, der französischen Kinderfrau Therese und einem Diener bestand. Über Salzburg, Innsbruck, Bregenz und Zürich erreichte man Bern, wohin Humboldt im Juli für kurze Zeit zur Familie kommt und auch der Sohn Theodor, der Urlaub von seinem Regiment erhalten hat.

Was hat es mit den Ereignissen um das Kindermädchen Therese auf sich, die die reisende Familie, wie es der eingangs erwähnte Aulebenbrief offenbart, so erschütterte.

Caroline hatte ihren Jüngsten, Hermann, der erst fünf Jahr alt war, bei dem Kindermädchen in Bern belassen, weil die Wandertouren für ihn zu anstrengend gewesen wären. Als die Reisegesellschaft am 7. September zurückkommt, findet sie das Kindermädchen krank, es macht einen moralisch gedrückten Eindruck. Aber die konsultierten Ärzte zerstreuen die Sorgen und so fährt man weiter.

Therese erholte sich äußerlich, klagte aber über innere Unruhe, Angst und große Schlaflosigkeit. Auf dem Weg zu den Gütern machte man Station in Freiburg, Straßburg, Heidelberg und kam am 5. Oktober in Rudolstadt an, wo man viele Stunden auf dem Schloss des befreundeten Fürstenpaares verbrachte. Es wurde auffällig, dass Therese nicht in einem Zimmer mit Hermann schlafen wollte. Sie bittet unter Tränen, das Kind von ihr zu entfernen. Ah, Madame,... ich habe eine fixe Idee, die mich umbringt... Mein Gott, Madame, ich liebe dieses Kind, aber ich kann es nicht mehr sehen, ohne innere Leiden zu verspüren. Für die Liebe Gottes, helfen sie mir, denn ich kann dem Verlangen, es zu töten, nicht widerstehen. Laßt ihn mir nicht mehr bekleiden, denn sobald ich seinen kleinen Bauch sehe, scheint es mir, als müsse ich ihn mit einem Messer erstechen... Seit sechs Wochen verbringe ich meine Nächte auf den Knien, ich bitte Gott darum, mir andere Gedanken zu geben, aber, er hat kein Mitleid mit mir, er stieß mich zurück.

Caroline erzählt dieses erschreckende, aufwühlende Ereignis brieflich einem Freund der Familie. Denken Sie sich meine Lage: allein war ich mit ihr in einem fremden Hause, tief in der Nacht. Ich trug vorerst den Hermann schlafend in mein Bett und blieb dann bis zum Morgen bei der armen verwirrten Person, die in einer schrecklichen Seelenangst um ihr Bekenntnis und um ihre dumpfe Ahnung eines Verbrechens war.
Therese bat, sie in ein Hospital zu bringen. Caroline besuchte sie bis zu ihrer Abreise am 11. 10. täglich, bezahlte den Aufenthalt und hörte in der nächsten Zeit, dass es ihr besser gehe. Später erfuhr sie, dass Therese ganz irre geworden sei. Ihre Stelle wurde nicht wieder besetzt.

Die Reisenden fuhren dann, nachdem die Angelegenheiten auf den Gütern für dieses Mal geregelt waren, aufgewühlt nach Berlin weiter und warteten dort ab, wie es mit Wilhelm von Humboldts diplomatischem Dienst weitergehen würde. Man bezog die Stadtwohnung an der Ekke Friedrichs Straße und der Linden No 26, eine Treppe hoch.
Heidelore Kneffel