100 Jahre Thüringen

Als aus Sieben Eins wurde

Dienstag
18.08.2020, 06:30 Uhr
Autor
red
veröffentlicht unter:
Der Krieg verloren, die Wirtschaft liegt danieder, im Land grassiert die Spanische Grippe und die gekrönten Häupter aus der alten Zeit treten ab - Deutschland im Jahr 1920. Trotz allem gelang es in diesen wirren Zeiten das Land Thüringen zu formen. Wie das möglich war, damit befasst sich jetzt eine Ausstellung in der Südharz-Galerie…

Thüringen 1920 - Ausstellung in der Südharz-Galerie (Foto: agl) Thüringen 1920 - Ausstellung in der Südharz-Galerie (Foto: agl)

Kommt es in Europa zu einem großen, einem Weltkrieg, so warnte Friedrich Engels schon 1887, dann würden an dessen Ende „die Kronen zu Dutzenden über das Straßenpflaster rollen“. Der Krieg kam und Engels sollte Recht behalten. 1918 soll die deutsche Flotte noch ein Mal auslaufen, eine Entscheidungsschlacht gegen die überlegene britische Marine soll es werden, ein letztes, sinnloses Hurra. Doch die Matrosen verweigern sich, aus dem Kieler Matrosenaufstand wird die Novemberrevolution und schließlich rollen, wie prophezeit, die Kronen im Dutzend. Die jahrhundertealte Adelsordnung geht ihrem Ende entgegen.

Gleiches geschieht auch in Thüringen, das als Territorium oder gar Land so zwar seit ewigen Zeiten nicht existiert hat, sich aber dennoch eine eigene kulturelle Identität bewahren konnte. Drei Herzogtümer, ein Großherzogtum, vier Fürstentümer und der Appendix eines Königreiches - das ist „Thüringen“ vor dem Ende des Krieges, zersplittert und zerfasert, ein Flickenteppich dynastischer Hoheitsansprüche, gewachsen über die Jahrhunderte.

Sondershausen ist Residenzstadt des Fürstentums Schwarzburg-Sondershausen, Nordhausen und Erfurt gehören (bis 1945) zum Königreich Preußen, Weimar ist Teil des Großherzogtums Sachsen - Weimar - Eisenach, Gotha gehört der Linie des Hauses Sachsen-Coburg, Greiz und Gera gehören zum Hause Reuß, das eine zur jüngeren Linie, das andere zur älteren Linie, und so weiter. Kleinstaaterei wie sie im Buche steht. All das endet 1918. Es werden Wahlen abgehalten und aus den Fürstentümern werden demokratische Freistaaten, sieben an der Zahl. Die schließen sich am 30. April 1920 zum Land Thüringen zusammen. Es ist die „kleinthüringische Lösung“, die preußischen Landesteile, also auch Nordhausen, sind nicht mit dabei und Coburg verabschiedet sich in Richtung Bayern. Auch in Meiningen hegt man derlei Wünsche, bleibt aber nach Zugeständnissen für das Meininger Theater doch bei Thüringen, erzählt Stephan Zänker vom Verein „Weimarer Republik“ gestern Nachmittag.

Stephan Zänker und Oberbürgermeister Kai Buchmann bei der Eröffnung der Ausstellung in der Südharz-Galerie (Foto: agl) Stephan Zänker und Oberbürgermeister Kai Buchmann bei der Eröffnung der Ausstellung in der Südharz-Galerie (Foto: agl)

Als Co-Kurator hat Zänker die Wanderausstellung „100 Jahre Thüringen“ mit gestaltet, die bereits in Erfurt und Eisenach zu sehen war. „Es war schon etwas Einzigartiges, so viele Interessen und Beteiligte unter einen Hut zu bekommen.“, erklärt Zänker in der Südharz-Galerie, „die Probleme waren damals deutlich gravierender als heute und die Ausstellung zeigt, dass eine Demokratie auch mit solchen Herausforderungen umgehen und sie lösen kann“. Eine „Riesenleistung“ nennt Zänker das, was damals unter schwierigsten Bedingungen geschaffen wurde. Neben der Abwicklung der alten, territorialen Ansprüche und Grenzziehungen des Adels mussten Gesetze und Verfassungen geschrieben und völlig neue Verwaltungsstrukturen gefunden werden.

Die Chronologie der Ereignisse zeigt die kleine Schau im „Außen“, entlang des kubusartigen Ausstellungsraums, in dessen Inneren alte Dokumente ausgestellt und ein einführender Film des Mitteldeutschen Rundfunks gezeigt werden. Um den Kubus herum finden sich weitere Information zu den einzelnen Thüringer Staaten und ihrer Entwicklung.


Wie die Fürstentümer Teil des Deutschen Reiches waren, so fügte sich auch das neue Land schnell in die Weimarer Republik ein. Was man heute Förderalismus nennt, existierte da schon, die Hoheit über Kultur, Bildung und Polizei behielt man weiterhin. In der Kleinteiligkeit habe es ein gewisses „Kirchturmdenken“ gegeben, erzählt Zänker, und mancher „Phantomschmerz“ wirke bis heute nach, die wenigsten Thüringer wüssten aber, was damals hierzulande tatsächlich passiert ist und das soll die Schau ändern. Deswegen wurden auch nicht Rathaus oder Museum als Ausstellungsort gewählt, sondern ein öffentlicher Ort, den auch Menschen besuchen, die sich für Geschichte nicht eigentlich interessieren und nicht die bewusste Entscheidung treffen, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen.

Der Zeitsprung in die Thüringer Vergangenheit wird noch bis zum 5. September kostenlos in der Nordhäuser Südharz-Galerie zu sehen sein.