Betrachtung

Neue Studie spricht vom Versagen der Medien

Montag
24.07.2017, 09:21 Uhr
Autor
red
veröffentlicht unter:
Die Medien und die Flüchtlingskrise - eine fast unendliche Geschichte, an deren Interpretation sich beinahe die Gesellschaft zu spalten schien. Jetzt hat eine Studie den sogenannten "Mainstream-Medien" erhebliche Defizite in der Berichterstattung attestiert...

Am 31. August 2015 kamen die ersten Flüchtlinge in Nordhausen an (Foto: nnz) Am 31. August 2015 kamen die ersten Flüchtlinge in Nordhausen an (Foto: nnz)

Es ist fast zwei Jahre her, da kamen die Bilder, vor allem aber die Geschichten und Schicksale von Menschen auf der Flucht vor Hunger, Krieg oder Elend immer näher. Noch waren sie mit dem Namen Idomeni verbunden, doch spätestens mit den vielen Leichen in einem Laster auf der Autobahn in Österreich und mit dem Bild eines toten Jungen an der türkischen Küste war klar, hier wird oder - wie es damals hieß´- hier muss etwas passieren.

Was passierte, ist hinlänglich bekannt. Eine Million Menschen kamen nach Deutschland. Die meisten ohne Papiere, also illegal. Denn den Straftatbestand des illegalen Grenzübertritts, den gibt es immer noch. Doch er wurde schlichtweg überrannt.

Die nnz hat diese Entwicklungen - vorwiegend aus dem lokalen Blickwinkel heraus beobachtet und auch kommentiert. Oftmals kritisch und vielleicht nicht ohne Grund wuchs das Misstrauen gegenüber der uniformen Jubelberichterstattung in den Medien, die meinen Meinung machen zu müssen. Es begann eines August-Tages vor zwei Jahren, da berichteten an einem Tag die Print- und Onlineausgaben großer deutscher Tageszeitungen mit einer Belehrung ihrer Leser, warum nahezu alle männlichen Flüchtlinge über moderne Smartphones verfügen müssen. Ein Thema, eine Erläuterung, zufälligerweise an einem Tag? Soviel Zufall gab und gibt es nicht. Zumindest nicht für den Journalisten, der eine ganz besondere politische Einflussnahme bereits erlebt hatte.

Was dann kam, das waren die Bilder, die vielen Bilder. Keine Tagesschau, kein Heute-Journal, keine Tagesthemen, die nicht über die Kinder und Frauen berichteten, die sich in den Flüchtlingsströmen gen Deutschland bewegten. Doch nur zwei Monate später, im Oktober 2015 musste Tagesschau-Chefredakteur Kai Gniffke eingestehen: „Wenn Kameraleute Flüchtlinge filmen, suchen sie sich Familien mit kleinen Kindern und großen Kulleraugen aus." Tatsache sei aber, dass „80 Prozent der Flüchtlinge junge, kräftig gebaute alleinstehende Männer sind“.

Das also soll Macht der Bilder sein? Das ist eher ein Machtmissbrauch. Der zog sich von der Tagesschau bis "hinunter" ins Lokale. Kaum eine Ausgabe von Zeitungen, kaum ein Thüringen-Journal, dass nicht vom Schicksal einer Flüchtlingsfamilie berichtete. Später kamen die heroischen Berichte von ersten Integrationserfolgen hinzu. Es ist müßig das alles zu wiederholen. Mehr als ein Jahr brauchte zum Beispiel der hiesige Unternehmerverband um festzustellen, dass wohl nur höchstens zehn Prozent der Angekommenen eine qualifizierte Arbeit aufnehmen können oder wollen. Monate zuvor waren die Flüchtlinge die Lösung des demografischen und des Fachkräfteproblems.

Leser dieser Zeitung kennen das und als hier im September 2015 wiederholt das Flüchtlingsproblem thematisiert wurde, da galt der Autor des Beitrages als Unterstützer von Pegida, NPD, als Rassist, um noch die freundlichen Begriffe zu wiederholen.

Nun, fast zwei Jahre später, hat die Otto Brenner Stiftung (OBS), eine Stiftung die der IG Metall nahe steht, die Flüchtlingsberichterstattung analysiert. Ein zentraler Befund der laut OBS medienkritischen „Pionierarbeit“ ist, dass große Teile der Journalisten ihre Berufsrolle verkannt und die aufklärerische Funktion ihrer Medien vernachlässigt haben. Studienleiter Prof. Dr. Michael Haller konkretisiert: „Statt als neutrale Beobachter die Politik und deren Vollzugsorgane kritisch zu begleiten und nachzufragen, übernahm der Informationsjournalismus die Sicht, auch die Losungen der politischen Elite“. Ihn interessierte das Politiker-Gezänk in Berlin weit mehr als die Sorgen und Ängste weiter Teile der Bevölkerung – mehr als die Nöte der nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge und Asylbewerber, mehr auch als die Probleme der Organisatoren und Helfer vor Ort, so ein wichtiges Ergebnis der innovativen Untersuchung. Andersdenkende sahen sich übergangen oder ausgegrenzt. Statt integrativ zu wirken, hatte der Informationsjournalismus die Frontenbildung verschärft – so ein weiteres Ergebnis.

„Die Flüchtlingskrise in den Medien“ ist die bislang umfassendste und methodisch aufwendigste Untersuchung zum Thema. Weit über 30.000 Zeitungsberichte wurden erfasst, Längsschnittanalysen zurück bis ins Jahr 2005 unternommen, die Berichte der Newssites wie auch der Leitmedien minutiös auseinandergenommen und akribisch analysiert. Die Befunde wurden nach Maßgabe wissenschaftlich gesicherter Modelle über die Funktion des Journalismus in der Demokratie beleuchtet und interpretiert.

Der Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung, Jupp Legrand, hebt hervor, dass im Gegensatz zu vielen „öffentlich geäußerten Mutmaßungen oder vorschnellen Urteilen die Ergebnisse der Studie auf einer intensiven Auseinandersetzung mit Quellen aufbauen und auf der kritischen Analyse breiter Daten fußen“.

Was die methodisch anspruchsvolle Erhebung aber aufzeigt, reiche tiefer: „Ihre Ergebnisse verweisen auf eine Sinn- und Strukturkrise der sogenannten Mainstreammedien“, analysiert Michael Haller und stellt fest: „Die von den Journalisten beschriebene Wirklichkeit ist sehr weit entfernt von der Lebenswelt eines großen Teils ihres Publikums“. Die Befunde belegen die große Entfremdung, die zwischen dem etablierten Journalismus und Teilen der Bevölkerung entstanden ist.

Erst nach der Silvesternacht 2015/16, so Michael Haller weiter, „entdeckten die Medien die reale Wirklichkeit hinter der wohlklingenden Willkommensrhetorik“. Doch da war der öffentliche Diskurs längst weitgehend von der Tagesordnung verschwunden.

Und aktuell? Im Gegensatz zu vor zwei Jahren gibt es kaum Bilder aus Italien, schließlich soll in Deutschland keine Beunruhigung entstehen. Vor allem nicht vor den anstehenden Bundestagswahlen. Diesmal sind Bilder von Frauen, jungen Männern und Kindern aus überfüllten Lagern nicht zu gebrauchen. Auch Nachrichten nicht, vor allem nicht aus Aleppo. Noch vor einem Jahr verging keine Nachrichtensendung in "Funk und Fernsehen", in der nicht von den Fassbomben des Diktators berichtet wurde. Und heute? Frieden eignet sich ebenfalls nicht in dieser Zeit als Nachrichtenthema. Vor allem nicht der Frieden, den man eigentlich politisch gern verhindert hätte.

Ich will hier nicht schreiben, nicht einmal andeuten, dass ich (auch in der Mannschaft der nnz gibt es unterschiedliche Standpunkte) Recht habe. Recht haben sollte kein Privileg von Journalisten sein, sie sollten immer eine gewisse Distanz entwickeln, sie sollten Fragen stellen dürfen. Der Politik zum Beispiel unangenehme Fragen. Sie, die Redakteure müssen nicht immer alle selbst beantworten, wohl aber Antworten herausfordern. Wir werden es auch weiterhin versuchen.

Und sie müssen zugeben können, dass sie mal "falsch lagen", dass sie irrten, dann wäre der Graben zwischen ihnen und Teilen der Rezipientenschaft vielleicht ein wenig schmaler. Gleiches gilt für Politik und Politiker.
Peter-Stefan Greiner