Betrachtung

Die chancenlose SPD

Mittwoch
26.10.2016, 08:13 Uhr
Autor
red
veröffentlicht unter:
Am heutigen Abend vollzieht die Sozialdemokratie des Thüringer Nordens wieder eine Zeremonie, die alles in sich vereinen wird, was Parteien für den Außenstehenden derart "attraktiv" machen, dass einerseits die Wahlbeteiligung sinkt, andererseits die Politikverdrossenheit weiter steigt. Doch davon wird man in Werther nicht viel zu hören bekommen...

Karikatur (Foto: Martin Höfer) Karikatur (Foto: Martin Höfer)
Unser Karikaturist Martin Höfer hat sich hier seine eigenen Gedanken gemacht

Wie soll man das beschreiben, was sich im Tagungsraum des Hotels "Zur Hoffnung" in Werther am Abend abspielen wird? Zeremonie? Ritual? "Pflichtveranstaltung? Es trifft wohl alles ein wenig zu - und führt das eigentliche und theoretische innerparteiliche Leben ad absurdum. Aber das Schöne daran: Alle machen munter mit und haben dabei das Gefühl, im Urhort der Demokratie angekommen zu sein.

Also, am Abend soll der SPD-Kandidat des neuen Wahlkreises 189 (Kyffhäuserkreis, Landkreis Nordhausen und Landkreis Eichsfeld) gekürt werden. Das Verb "wählen" sollte man für diese Prozedur nicht verwenden, denn das Ergebnis steht fest: Es wird Steffen Claudio Lemme sein, der im Herbst nächsten Jahres in dieser Region vor dem Kürzel SPD auf den Wahlzetteln steht.

Diese heutige Wahl wird butterweich, der Sieg ist garantiert. Und dabei ist es egal, woher der Mann kommt. Wo er beheimatet ist? Ist Herr Lemme ein Nordthüringer? Zu finden ist da wenig. Auf seiner Homepage ist kein aktueller Wohnort angegeben. 2013 stand in den offiziellen Wahlunterlagen noch Möbisburg-Roda. Heute könnte es Erfurt sein, obwohl der Mensch oberster Sozi im Kyffhäuserkreis ist.

Schaut man sich die Biografie von Lemme an, dann ist er der ausgemachte Sozialdemokrat, War Gewerkschafter zu DDR- und zu BRD-Zeiten, hat sich nach dem beruflichen Absturz nach der Wende aus eigener Kraft zunächst, dann mit Hilfe der Gewerkschaft wieder hochgerappelt. Lemme ist noch einer, der nicht zur Saal-Fraktion gehört - Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal. Und trotzdem kam Lemme vor drei Jahren nur über den Listenplatz in den Deutschen Bundestag. Für ihn stimmten damals nur 17,1 Prozent, für den CDU-Mann Selle immerhin 43,3 Prozent.

Steffen Claudio Lemme hat auch für die bevorstehende Bundestagswahl also wieder ein Problem - die SPD. Das wird durch den Neuzuschnitt des Wahlkreises noch verstärkt. Statt Kyffhäuserkreis - Sömmerda - Weimarer Land wird dem Kandidaten nun neben dem Kyffhäuserkreis der Landkreis Nordhausen und der rabenschwarze Landkreis Eichsfeld vor die politische Nase gesetzt.

Man muss da nicht unbedingt den Blick in die Glaskugel versuchen, um letztlich zu erblicken, dass die Chancen einer Direktkandidatur gegen Null tendieren. In dem Altwahlkreis hatte vor 14 Jahren das letzte Mal ein(e) Kandidat(in) das Direktmandat errungen. Und so muss der Herr Lemme jetzt schon auf den 25. Februar kommenden Jahres schauen.

Da wird die freistaatliche SPD ihre Landesliste bestimmt, wobei die zwei ersten Plätze durch Carsten Schneider und Petra Heß bereits so gut wie belegt scheinen. Und da Iris Gleicke sich ins Privatleben verabschieden wird, ist der Listenplatz mit der Nummer 3 der heiß umkämpfte. Hier wird es zum Showdown zwischen Lemme und Matschie kommen.

Das mag vor allem für die Beobachter des Parteitages eine interessante Angelegenheit sein, doch der Platz-Kampf ist eigentlich unnötig. Selbst innerhalb der Thüringer SPD gibt es viele Genossen, die realistisch zu Werke gehen, die keine drei Bundestagsabgeordneten über die Liste in den Bundestag ziehen sehen. Mehr noch, selbst der zweite Listenplatz bietet bei dem parteilichen Umfeld für die SPD in Deutschland und in Thüringen erst recht keine Garantie. Das ist bitter für die SPD, aber das ist eben so.

Im Bund werden sowohl Gabriel als auch Schulz nicht die "Bringer" für ihre Partei sein und in Thüringen können sich CDU und AfD jetzt schon freuen, denn neben der schwachen SPD (16,1 Prozent Zweitstimmen vor drei Jahren) wird vor allem beim Gezerre um die Gebietsreform den Sozialdemokraten aber auch den Linken zusätzliche Wahl-Schmerzen zufügen.

Unter diesen Vorzeichen also zelebriert die Nord-SPD heute ihre Nominierung. Einer der Höhepunkte wird dabei ohne Zweifel der Thüringer Ex-Minister Matthias Machnig sein. Wir werden darüber natürlich berichten. Mit einem Ticker können Sie, liebe Leser der Nordthüringer Online-Zeitungen live dabei sein. 18.30 Uhr legen wir los.
Peter-Stefan Greiner