nnz-Interview zur Bundestagswahl

Konservative Entschleunigung

Mittwoch
01.03.2017, 14:04 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Manfred Grund ist im politischen Betrieb der Hauptstadt zu Hause. Seit 1994 sitzt er für die CDU im Bundestag und ist parlamentarischer Geschäftsführer seiner Fraktion. Mit der nnz hat er über den Zustand der Gesellschaft, außenpolitische Gratwanderungen und weiße Flecken in der Wahrnehmung seiner Partei geredet...

Manfred Grund vor seinem Büro in Heiligenstadt (Foto: Angelo Glashagel) Manfred Grund vor seinem Büro in Heiligenstadt (Foto: Angelo Glashagel)

nnz: Herr Grund, die SPD erlebt mit Martin Schulz gerade neue Höhenflüge, von rechts macht die AfD Druck, Linke und Grüne wollen auch gerne in Berlin regieren – es dürfte kein leichtes Wahljahr für die CDU werden.

Manfred Grund: Ich vermute, dass es für mich von den vielen Wahlkämpfen, die ich gemacht habe, der schwierigste wird, da wir tatsächlich von zwei Seiten unter Druck stehen. Die Mitte insgesamt ist in Deutschland stark unter Druck. Als CDU haben wir eine offene Flanke und das ist die Aufnahme von weit über einer Million Flüchtlingen im Jahr 2015 und auch der Flüchtlingszuzug in 2016. Das sind alles Dinge, welche die deutsche Wirtschaft und die deutsche Gesellschaft insgesamt nicht so einfach verkraften und das bringt uns als CDU und auch Angela Merkel in eine schwierige Position.

nnz: Was ist denn aus „Wir schaffen das geworden?“ Verkraften wir „das“ oder nicht?

Grund: Ich glaube nicht, dass wir materiell überfordert sind. Wobei, jedes Jahr über 20 Milliarden Euro für Integration ist eine Leistung, die außer uns keine Volkswirtschaft stemmt. Das ist Geld, welches sich einige auch anderswo vorstellen können. Das eigentliche Problem ist aber die Stabilität unserer Gesellschaft. Mit der Migration sind wir von zwei Seiten unter Druck geraten und es haben sich zwei Lager gebildet, die miteinander auch nicht mehr ins Gespräch kommen. Die eine Seite steht für „Grenzenloses Willkommen“, die andere Seite ist die „Das Boot ist voll“-Mentalität, welche nur kulturfremden Zuzug ohne Nutzen sieht. Mit Blick auf unsere gesamtgesellschaftliche Stabilität macht mir das zu schaffen.

nnz: Wo sehen Sie denn die CDU zwischen diesen Lagern? In der Mitte?

Grund: Ich hoffe, dass wir die Mitte noch abbilden. Viele, die aus der CDU rausgegangen sind, stellen das in Frage. Der Mittelweg wäre, die Situation wieder auf die Gesetzeslage zurückzuführen. Und die ist ziemlich eindeutig: wer politisch verfolgt ist, erhält Asyl. Dazu gehören auch Kriegsflüchtlinge. Wer an den Schengen-Außengrenzen ankommt oder auch an unserer nationalen Grenze und keine Voraussetzungen zur Aufnahme mitbringt, der ist abzuweisen.

nnz: Gesetzliche Grundlage ist unter anderem die Dublin III-Verordnung, die dazu geführt hat, dass vor allem die europäische Peripherie die Last des Flüchtlingsbewegung zu tragen hatte. Länder wie Italien und Griechenland, die ohnehin die Sorgenkinder des Kontinents sind. Wie will man die Gratwanderung zwischen der Stabilität des direkten Umfelds und der innerdeutschen Gesellschaft schaffen?

Grund: Eine Voraussetzung dafür ist, dass wir in der Lage sind, die Außengrenzen effektiv so zu schützen, um nicht von allen überrannt zu werden, die sich ein besseres Leben wünschen. Dies war offensichtlich nicht gegeben. Viele, die kamen, waren nicht politisch Verfolgte und rund 80% der Zuwanderung nach Europa aus 2015 sind in Deutschland gelandet. Also stimmt hier etwas nicht. Da kommen wir dann auch in eine gesellschaftliche Überforderung hinein. Weitere Maßnahmen sind Rückführungen und Aufnahmelager, damit die Leute gar nicht erst auf die Nussschalen gezwungen werden und dann vor dem Ertrinken gerettet werden müssen. Verhandlungen dazu laufen zur Zeit mit Libyen, obwohl es hier im Moment keine staatliche Ordnung gibt. Das ist ein großes Problem.

nnz: Begibt man sich da nicht in ungewisse Abhängigkeiten? Hat man mit solchen Deals nicht zum Beispiel einem Herrn Erdogan einen enormen Hebel in die Hand gegeben?

Grund: Den Hebel haben wir ihm nicht in die Hand gegeben, den hatte er schon: In der Türkei sind rund drei Millionen Flüchtlinge, gut 30% davon tatsächlich in Flüchtlingslagern. Der Rest ist in der türkischen Gesellschaft abgetaucht. Wenn Erdogan die Versorgung der Syrer in den Flüchtlingslagern einstellt, laufen die los. Und zwar zu uns!

nnz: Sie hatten Libyen angesprochen. Deutsche Diplomaten hatten vor kurzem die Zustände in den Flüchtlingslagern im Land mit drastischen Worten beschrieben und von schweren Menschenrechtsverletzungen berichtet. In Afghanistan hat die Zahl der getöteten Menschen im vergangenen Jahr einen neuen Höchststand erreicht. Wie vertragen sich politische Entscheidungen angesichts dieser Lage mit dem großen „C“ in der CDU?

Grund: Das große „C“ heißt ja nicht, dass es eine moralische Verpflichtung zur Selbstzerstörung gibt. Wir können nicht alle unterschiedslos aus den Krisen- und Armutsregionen der Welt aufnehmen. Peter Scholl-Latour hat das mal ganz treffend beschrieben: „Ihr könnt halb Kalkutta aufnehmen. Dann habt ihr in Kalkutta noch nichts verändert, aber Deutschland zerstört“.
Deswegen müssen wir, auch um unsere Eigenstaatlichkeit und unser Gemeinwesen zu erhalten, stärker zurückweisen, selbst in Krisenregionen. Dazu gehört auch Afghanistan. Aber es gibt auch hier Regionen, die vom Krieg nicht berührt sind.

nnz: Das kann sich doch aber jederzeit wieder ändern.

Grund: Wir können nicht für jede Eventualität von Deutschland aus Vorsorge treffen.

nnz: Stichwort Stabilität: wir haben die Flüchtlingsproblematik auf der einen Seite, wir haben eine EU die in sich nicht gefestigt ist, wir haben die Situation in der Ukraine jetzt noch eine US-Administration, die voller Überraschungen ist. Wie positioniert sich Deutschland mit Blick auf diese Herausforderungen innerhalb der Europäischen Union?

Grund: Ich bin der festen Überzeugung, dass alles was nach der jetzigen europäischen Union mit ihren vielen Unvollkommenheiten kommt, schlechter für Deutschland wäre als das, was wir jetzt haben. Ich will mir nicht vorstellen, dass Europa wieder in konkurrierende Nationalstaaten zerfällt und Protektionismus, Zölle, Schlagbäume aufbaut. Es ist unser originäres deutsches Interesse die Union zu erhalten, wenn möglich zu verbessern und den Prozessen des Zerfalls aktiv entgegen zu treten. Wir sollten nichts tun, was diesen Zentrifugalprozess beschleunigt: Daher rührt auch unsere Unterstützung für Griechenland. Lieber bezahlen wir einen Euro mehr in die EU, als ihrem Zerfall zuzusehen.

nnz: Was bringt die EU denn Deutschland ganz konkret?

Grund: Über die Hälfte unserer Exporte geht in die Union und mit der Europäischen Union und mit ihrer Osterweiterung ist es uns gelungen, die Wohlstandsgrenze, die bis weit in die 90er Jahre hinein gut 70 Kilometer östlich von Berlin verlaufen ist, weit weg zu schieben. Damit haben wir eine Zone der Stabilität um Deutschland geschaffen. Wenn sich unsere Nachbarn stabil entwickeln, geht es auch uns gut; wenn sie es nicht tun, bekommen auch wir Probleme.

nnz: Wie sehen sie das Verhältnis zu Russland und zur Ukraine?

Grund: Mit der Besetzung der Krim wurde Völkerrecht gebrochen, das muss man klar sagen. Außerdem befinden wir uns in einem Desinformationskrieg. Wir müssen unsere deutschen Interessen behaupten. Ich will da nicht hinter die Fichte geführt werden und alles hat immer zwei Seiten. Die Destabilisierung in der Ukraine, an der beide Seiten nicht ganz schuldlos sind, muss reduziert werden.

nnz: Blicken wir einmal in die andere Richtung: die Trump Administration. Wie ist ihr Eindruck nach einem guten Monat.

Grund: Mir haben die amerikanischen Wähler leid getan, da sie nur die Wahl zwischen Clinton und Trump hatten. Das ist dem Wahlsystem geschuldet. Bei uns hätte es die Reduzierung auf zwei so problematische Kandidaten nicht gegeben. Jemand wie Trump wäre bei uns entweder an der Parteihierarchie gescheitert oder an der Basis. Die Botschaft Trumps ist eine, die wir auch aus Staaten der Europäischen Union hören: Größe aus eigener Stärke heraus, nicht in Kooperation, sondern immer im Gegensatz zu anderen. Ziehen die USA sich auf sich selbst zurück, dann entsteht weltpolitisch ein Vakuum, in welches andere vordringen können - China, Russland, Iran, vielleicht die Türkei. Und alle vier sind nicht eben Westminster-Demokratien. Die Welt ist auf der Suche nach einer neuen Ordnung, einem neuen Gleichgewicht, das hoffentlich kein Gleichgewicht des Schreckens wird. Und wir können noch nicht sagen, wo wir uns da als wirtschaftlich starkes Land wieder finden.

nnz: Wäre das nicht die Aufgabe an dieser Stelle Orientierung zu geben und sich zu positionieren. So ein Vakuum bietet ja auch Chancen.

Grund: Das geht nur mit einem gemeinsamen Europa. Bei so vielen Fragezeichen könnte es für Europa zu einer Sternstunde werden. Aber leider ist der Kontinent in einer schlechten Verfassung und zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Wir werden nicht als vereinigtes Europa wahrgenommen. Dies zu verändern, wird zur Aufgabe der Außen- und Sicherheitspolitik für die nächsten Jahre.

nnz: Zurück nach Deutschland. Wo sehen sie hier die Herausforderungen für die nächsten Jahre?

Grund: Wir haben eine Diskussion über eine gefühlte Benachteiligung und eine tatsächliche Ungerechtigkeit in der Einkommensverteilung. Der Wahlkampf wird in diese Richtung gehen. Renten, Hartz IV und Umverteilung werden Thema sein. Was wir tatsächlich haben, ist das Ärgernis über die Spitzengehälter und Boni der Manager. Diese sind zum Teil entkoppelt vom Erfolg des Unternehmens, egal ob es der Firma gut oder schlecht geht, den Managern geht es immer gut. Auch das ist etwas, was an die Stabilität unserer Gesellschaft geht. Wenn das Gefühl entsteht, dass wir keine Schicksalsgemeinschaft sind, sondern dass sich ein Teil zu Lasten der Gemeinschaft davon macht, dann reißt uns das die deutsche Gesellschaft genauso auseinander wie die starke Zuwanderung in 2015. Als CDU haben wir in der Wahrnehmung dessen da vielleicht auch weiße Flecken, wir müssen das politisch stärker aufnehmen und Angebote machen. Spitzengehälter und Boni könnten zum Beispiel anders besteuert werden. Und auf der anderen Seite werden Fach- und Schichtarbeiter, gerade in Ostdeutschland, zu schlecht bezahlt. Das sind die wirklichen Leistungsträger unserer Gesellschaft.

nnz: Das große Thema des Herrn Schäuble ist die schwarze Null. Das Land erzielt Überschüsse trotz hoher Kosten und aber vor Ort gibt es nicht genug Lehrer und marode Brücken. Wie passt das zusammen?

Grund: Grundsätzlich ist der Bund nicht für jede Schule zuständig. Wir haben immer noch einen Wettbewerbsföderalismus. Die Länder, die gut regiert werden, haben auch gute Ergebnisse. Im Moment fallen da einem vor allem Bayern und Baden-Württemberg ein, wo es offensichtlich funktioniert. Dennoch muss man feststellen, dass die Bundesländer und zum Teil auch der Bund Infrastruktur vernachlässigt haben. Benachteiligungen im Schulsystem kann der Bund nicht akzeptieren und ist bereit mitzufinanzieren, auch wenn er keine Zuständigkeit hat. Also haben wir ein Schulinvestitionsprogramm aufgelegt, sieben Milliarden Euro für Schulen finanzschwacher Gemeinden. Eine Vereinbarung für ein Programm zur Förderung von Digitaltechnik an Schulen steht noch aus. Bei der Verkehrsinfrastruktur sieht es zur Zeit allerdings so aus, dass mehr Geld da ist, als abfließt. Deswegen braucht man da nicht noch zehn Milliarden drauf legen.

nnz: Haben Sie in der Koalitionsfrage Präferenzen? Sollte es noch einmal die große Koalition werden?

Grund: Ich habe eine klare Präferenz. Beide große Koalitionen, die ich erlebt habe, waren gut für das Land. Dass wir als Deutschland am besten durch die Weltfinanzkrise gekommen sind hing auch mit der schnellen Reaktions- und Handlungsfähigkeit der Koalition zusammen. Wir haben gute Erfahrungen gemacht. Die SPD hat uns aber mitgeteilt, dass sie nur noch mit uns zusammen gehen würde, wenn es gar nicht anders geht. Es werden also auch alle anderen Spielräume ausgetestet. Außer zur AfD, da gibt es von unserer Seite eine Brandmauer.

nnz: Gibt es in ihrer eigenen Partei Positionen, die Sie nicht vertreten?

Grund: Es gibt nichts, was mich vor grundsätzliche Konflikte stellen würde. Manches ist mir allerdings zu schnell gegangen, die Zuwanderung zum Beispiel. Es gibt eine interessante Definition zu dem was konservativ ist: Und zwar Veränderungen die kommen, so lange zu entschleunigen, bis die Menschen keine Angst mehr davor haben müssen. Wenn meine CDU dies beherzigt, gibt es nichts, was mich an den Rand drängen würde.

nnz: Herr Grund, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Angelo Glashagel