Projekt Modellregion angelaufen

Nordhäuser Hoffnung, Nordhäuser Frust

Dienstag
06.04.2021, 14:59 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Fünf Tage Experiment - im Landkreis ist heute das Projekt „Modellregion“ angelaufen. Wer einen negativen Test vorweisen kann, darf den Einzelhandel beglücken. Ob der Feldversuch über die Woche hinaus währen kann, steht noch nicht fest. Gut sieht es nicht aus, meinte heute Landrat Matthias Jendricke und sparte nicht mit Kritik…

Lange Schlangen konnte man heute vor dem Testzentrum in der Nordhäuser Innenstadt beobachten (Foto: agl) Lange Schlangen konnte man heute vor dem Testzentrum in der Nordhäuser Innenstadt beobachten (Foto: agl)

Im Herzen der Stadt waren die Zeichen des vorsichtigen Öffnungsversuches heute deutlich zu sehen - trotz Schnee und Eis hatte sich um die Mittagszeit eine lange Schlange Testwilliger vor der Kreissparkasse versammelt. Hier befindet sich eines der zehn Testzentren im Landkreis, die eine kurze Öffnung des Einzelhandels ermöglichen sollen.

Schritt eins: fällt der Antigen-Schnelltest negativ aus, bekommt man einen entsprechenden Nachweis, samt amtlichen Stempel, der einen zum Betreten bis dato geschlossener Geschäfte berechtigt und für 24 Stunden gültig ist. Schritt zwei: im Laden muss König Kunde entweder seine Kontaktdaten schriftlich hinterlassen oder sich der „Luca-App“ bedienen und einen QR-Code scannen, sofern der Händler diese Möglichkeit anbietet und sich beim Anbieter der App registriert hat. Schritt drei: shoppen. Natürlich mit Maske und Abstand.

Soweit die Kurzfassung des jüngst viel diskutierten Probelaufs im Landkreis Nordhausen. Vorbereitung und Durchführung erinnerten an eine „kleine Katastrophenlage“, meinte Landrat Matthias Jendricke heute und will das nicht negativ verstanden wissen. In gut einer Woche habe man in Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen wie dem Deutschen Roten Kreuz und der Johanniter-Unfall-Hilfe die Testzentren geplant, aufgebaut und personell bestückt, ähnlich wie man das in einer Katastrophenlage eben tun würde. Für die schnelle Organisation und das Engagement gebühre den Unterstützern der größte Dank.

In den Ausführungen Jendrickes schwingt neben der Hoffnung auf einen erfolgreichen Testlauf aber auch viel Kritik bis hin zum Frust mit. Im Land wie im Bund würden die Ressourcen, die der Republik zur Verfügung stehen, nicht in dem Umfang genutzt, in dem es die Situation verlangen würde. „Thüringen hat fundamental schlechte Zahlen, die auf den ganzen Bund drücken“, kritisiert der Landrat. Man könne den Eindruck gewinnen, dass man sich mancherorts mit hohen Fallzahlen eingerichtet habe.

„Es ist schlicht unglaublich wenn man vom RKI die Warnung hören muss, dass Gesundheitsämter an Ostern nicht besetzt sind. Das ist so, als würden die Notaufnahmen über die Feiertage schließen. Wir verwalten hier eine nationale Notlage und die Ressourcen, die wir haben, sind größer als das, was in manchen Landkreisen genutzt wird. Man muss möglichst alle Kontakte nachverfolgen, auch wenn es viel Arbeit ist und darauf müssten alle Strukturen hinarbeiten. Das kann nicht an einem Arbeitsplatz mit Telefon und Computer scheitern. “ Die Nordhäuser hängen sich seit einem Jahr rein in Sachen Pandemiebekämpfung, die anderen haben es sich gemütlich gemacht, so der Tenor des Gefrusteten.

In Nordhausen habe man seit Beginn der Pandemie nicht darauf gewartet, was nun in Berlin entschieden wird, siehe die Maskenpflicht im vergangenen Jahr oder das erste Schnelltestzentrum im Freistaat in diesem Jahr. Die anderen Thüringer Kreise müssten nun endlich „nachziehen“, meint Jendricke weiter. Und auch jetzt musste man wieder Dinge selber regeln, die anders laufen könnten. Die Attest-Scheine, die zum Einkauf berechtigen, hat man selber drucken lassen, weil ein einheitliches Format, welches es auf Bundesebene schon zum 22. März hätte geben sollen, weiter auf sich warten lässt. Und während einige Bundesländer den Zugang ihrer Gesundheitsämter zur „Luca-App“ zentral geregelt haben, musste der kleine Landkreis die Verhandlungen mit dem Anbieter selber führen, wobei man auf der Prioritätenliste der Firma angesichts bundesweiter Anfragen ganzer Länder nicht eben weit oben gestanden habe. Geklappt hat es trotzdem und immerhin: man hat sich auf vorerst eine kostenlose Drei-Monats-Regelung geeinigt, in der Hoffnung das der Freistaat bis dahin doch noch in Bewegung kommt.

Den Einsatz der App zur Kontaktnachverfolgung hatte Jendricke in der Vergangenheit ebenfalls kritisiert. Ohne diese Maßnahme wäre der Umsetzung des Modellvorhabens aber von Landesseite nicht stattgegeben worden. Die Sinnhaftigkeit bestreitet der Landrat weiterhin, zumindest für die Öffnung des Einzelhandels, auch wenn nicht, wie vom Landratsamt vermutet, ganze Bewegungsprofile angelegt werden, sondern lediglich positive Befunde gesammelt werden. Mit Blick auf die Wiederbelebung des kulturellen Lebens und der Gastronomie liege die Sache sicher anders, da hier kritische Begegnungssituationen und potentielle Infektionsszenarien eher gegeben seien, meint Jendricke.

Fortführung ungewiss
Der Lohn der Mühen - mit der Stadt Weimar ist Nordhausen nun die zweite Modellregion in Thüringen, die für fünf Tage ihren Einzelhandel öffnen darf. Eine „Kraft auf Dauer“ würde die kurze Öffnungsphase nicht entfalten, unterstreicht Jendricke. Es ist eben vor allem ein Testlauf für alle Beteiligten, vom Amt über die Hilfsorganisationen bis zum Handel und seinen Kunden.

Ob die Lockerungen auch über die Woche hinaus fortgeführt werden können, ist zum einen unklar und mit Blick auf die überregionale Entwicklung auch zunehmend unwahrscheinlich. Angesichts der Fallzahlen werde man kaum auf die „Click and Meet“-Regelung bauen können, also der Einkauf nach vorheriger Anmeldung bei entsprechend niedrigen Inzidenzwerten auf Landesebene. Eine schlichte Verlängerung der Modellphase steht nicht im Raum, wenn überhaupt kann der Landkreis Ende der Woche einen neuerlichen Antrag in Erfurt stellen. „Die Hoffnung ist sehr klein, man wird sehen müssen was bundesweit passiert“, meint der Landrat.

Da sind zum einen die Feiertage, samt Familienzusammenkünften aus unterschiedlichen Regionen, die zu einer ähnlichen Situation wie um Weihnachten führen könnten. Ob sich die Lage so entwickelt, wird man aber erst in ein bis zwei Wochen beurteilen können. Mit steigenden Zahlen ist in jedem Fall zu rechnen. Dass auch die Öffnung des Einzelhandels das Infektionsgeschehen beschleunigen könnte, fürchtet man im Landratsamt hingegen nicht. Über das gesamte vergangene Jahr hätte man nur eine Hand voll Infektionen im geöffneten Lebensmittelhandel registriert und heute habe man mit OP- und FFP2-Masken sowie dem Testregime mehr Möglichkeiten sich zu schützen, so dass man im Einkauf kein Risiko sehe. In Ballungsgebieten und Großstädten, wo die Kontaktdichte von Natur aus höher ist, möge das noch einmal anders sein, räumte Jendricke ein, in kleineren Städten sei die Schließung des Einzelhandels aber inzwischen unverhältnismäßig.

Mit einem Ansturm auf die Nordhäuser Innenstadt, ähnlich der Geschehnisse im fernen Tübingen, rechne man eher nicht unter anderem weil in Nachbarregionen wie Göttingen shopping per „Click and Meet“ bereits möglich ist, es also naheliegende Alternativen zum Ausflug in den Südharz gibt.

Entscheidend für das Gelingen der ganzen Aktion wäre demnach vor allem eines: das sich die Menschen, Kunden wie Händler, an die Regeln halten. Das soll der Vollzugsdienst des Kreises überprüfen, wobei man aber wie schon im vergangenen Jahr, auf die direkte Ansprache setzen will, bevor ernstere Konsequenzen drohen. Bußgelder werde man nicht verhängen, erklärte der Landrat. Im schlimmsten Falle drohe Geschäften, die sich nicht an die Vorgaben halten, die Rückkehr zum status quo ante, also die neuerliche Schließung. Der Vollzugsdienst wird sowohl gut sichtbar in Uniform wie auch in Zivil unterwegs sein.

Ob die geschaffenen Testkapazitäten beibehalten werden, müsse man im Nachgang auswerten und die Möglichkeiten entsprechend anpassen, heißt es aus dem Landratsamt. Die erweiterten Öffnungszeiten des ersten Testzentrums in der Zorgestraße, das nun auch am Vorabend Termine nach Vereinbarung vergibt sowie die Verfügbarkeit des Testbusses würden in jedem Fall beibehalten. Zudem sei man mit weiteren Einrichtungen im Gespräch, die ebenfalls als Anlaufstationen im Landkreis dienen könnten, die kurzfristige Organisation über die Osterwoche aber bisher nicht stemmen konnten.

Wer es noch einmal ganz genau wissen will, der findet weitere Informationen zur Modellregion und den Testzentren auf der Website des Landratsamtes.
Angelo Glashagel