Kommt das Gipsforschungszentrum nach Nordhausen?

Ein Satz und seine Spuren

Freitag
31.07.2020, 16:20 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Mitte Februar rumorte es kräftig im bundesweiten Blätterwald, das politische Tauziehen im Thüringer Parlament hielt nicht nur den Freistaat in Atem. Mittendrin fiel ein Satz, der einem im Südharz hellhörig werden lassen musste. Es ging um die Zukunft des Gipsabbaus und der Gipsforschung in und um Nordhausen...

Protest gegen Gipsabbau in der Rüdigsdorfer Schweiz im Jahr 2014 (Foto: nnz-Archiv) Protest gegen Gipsabbau in der Rüdigsdorfer Schweiz im Jahr 2014 (Foto: nnz-Archiv)

Die Wahl des Liberalen Thomas Kemmerich, sein Rücktritt, die hitzig geführten Debatten und schließlich der neuerliche Wahlgang und sein Ergebnis, all das scheint eine gefühlte Ewigkeit in der Vergangenheit zu liegen.

Am 17. Februar fällt in einem von der ARD ausgestrahlten Interview ein Nebensatz, der erst im allgemeinen Trubel, dann im Wirbel der sich Bahn brechenden Corona-Krise untergeht. Geäußert wird der Satz von Bodo Ramelow, damals (noch) einfacher Abgeordneter: „ (…) nachdem am Freitag so das erste Signal kam, das dass Gipsforschungszentrum nach Nordhausen nicht kommen soll, wird es doch deutlich das wir eine Landesregierung brauchen die Handlungsfähig ist“.

Der Satz hatte für die Beben, die da durch den Bund gingen, keine größere Bedeutung, für die kleine Region im Herzen des Landes barg diese Zeile aber durchaus Sprengkraft. Was meint Ramelow? Welche „Signale“ hat es gegeben und wer hat sie gesandt? Wird der Südharz, die Gipsregion des Landes, im Kohlekompromiss leer ausgehen? Werden Landschaft und Leute letztlich einen hohen Preis für den Ausstieg aus der Kohle zahlen und nichts dafür bekommen?

Wir recherchieren, fragen zunächst im Wirtschaftsministerium nach Hier ist man zwar hilfsbereit, letztlich aber wenig hilfreich. Immerhin: es geht wohl um Aussagen, die im Bundesrat gefallen sind. Hochschulpräsident Jörg Wagner wird der nnz sagen, dass Nordhausen nicht „raus“ sei, dass man„starke Verbündete“ habe und „an viele Türen“ klopfe, was genau im Bundesrat besprochen und vielleicht entschieden wurde, weiß man aber auch hier nicht zu sagen. In der Thüringer Staatskanzlei findet sich kein Ansprechpartner, denn ohne Ministerpräsidenten ist der Freistaat nicht im Bundesrat vertreten. Der alte und bald neue MP ist, wie Eingangs erwähnt, einfacher Abgeordneter, einen Pressesprecher hat er nicht mehr, die Kontaktaufnahme über die Fraktion gestaltet sich schwierig und der Mann dürfe Ende Februar vieles auf seinem Teller gehabt haben. Kurzum: zentrale Fragen bleiben unbeantwortet, dann kommt Corona und in Erfurt wie in der kleinen Nordhäuser Redaktion hat man arg zu tun, mit den Ereignissen Schritt zu halten. Der Entwurf zum Artikel verstaubt auf der Festplatte. Vergessen ist die Sache aber nicht.

Damit zurück in die jüngere Vergangenheit, der 4. Julei, IFA-Museum Nordhausen. Ramelow, inzwischen wieder Ministerpräsident, eröffnet die Sonderausstellung zur Geschichte der Treuhand. Am Rande der Veranstaltung können wir kurz mit ihm sprechen aber viel Zeit bleibt nicht, der neue Pressesprecher drängt, der nächste Termin wartet. Tot und begraben ist das Gipsforschungszentrum in Nordhausen noch nicht, aber die Verhandlungen im Bundesrat waren schwierig, die Thüringer stehen mit ihrem Anliegen zu Gips, REA-Gips und Kohle nahezu allein, wir sollen noch einmal anfragen.

Das bringt uns in die Gegenwart und zum Stand der Dinge. Thüringen hat in den Ausschüssen des Bundesrates Anträge gestellt und im Zusammenhang mit der Substitution des REA-Gips weitere Investitionen in Wissenschaft und Forschung in strukturschwachen Regionen gefordert. Die Produktion des „REA-Gipses“, der als Nebenprodukt der Kohleverstromung entsteht, übersteigt die Förderung des Naturgipses um ein vielfaches. Die größten, reinsten und (nahezu) einzigen, brauchbaren Vorkommen des Landes liegen im Süd- und Westharz. All das weiß man vor Ort schon lange, der Streit um die Ausbeutung des Gipses währt nun schon an die dreißig Jahre. Wenn der Kohleausstieg kommt, dann werden nicht nur die Kumpel betroffen sein, sondern auch der Südharz und seine Bewohner. Auch das weiß man zwischen Ellrich und Rottleberode nur zu gut, wohl aber nicht im Rest des Landes. Außer dem Südharz bieten nur noch Teile Süddeutschlands ähnliche Gipsvorkommen, die aber weit weniger mächtig ausfallen.

Und so steht man mit seinen Sorgen weitestgehend allein. „Die Thüringer Anträge haben die notwendige Mehrheit für den Eingang in die Stellungnahme des Bundesrates zum Strukturstärkungsgesetz nicht erreicht“, ist aus Erfurt zu erfahren. Das Gesetz passiert am 3. Juli den Bundesrat. Im Entwurf findet sich der Begriff „Gips“ genau einmal, in Abschnitt 7, § 54, „Regelmäßige Überprüfung der Maßnahme“. Die Bundesregierung überprüft zum 15. August 2022, zum 15. August 2026, zum 15. August 2029 sowie zum 15. August 2032 auf wissenschaftlicher Grundlage […] auch Auswirkungen auf Rohstoffe, insbesondere Gips, die im Zuge der Kohleverstromung gewonnen werden.

Klare Bekenntnisse sehen anders aus. Das Thüringer Problem, so scheint es, ist kein deutsches Problem. Dem Freistaat bleiben Protokollerklärungen, Anträge und bitten des Bundesrates an die Regierung. Auf einen Thüringer Antrag zurückgehend hatte der Bundesrat bereits am 13.3. zum Entwurf des Kohleausstiegsgesetz Stellung bezogen. Darin heißt es unter anderem:

a) Der Bundesrat verweist auf seinen Beschluss in Sachen Gips-Recycling aus dem Jahr 2017 […] und bittet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang, die im Deutschen Ressourceneffizienzprogramm ProgRess II avisierte Steigerung beim Ausschleusen von Gips aus Bau- und Abbruchabfällen und bei dessen Recycling bis 2030 weiterhin voranzutreiben.
b) Der Bundesrat bittet die Bundesregierung des Weiteren, vor dem Hintergrund der absehbaren Rohstoffverknappung beim REA-Gips […] einen besonderen Fokus auf die Substitution von Gips durch andere nachhaltige Werkstoffe zu legen, um so insbesondere der Bauwirtschaft wirtschaftlich und ökologisch tragbare Alternativen zu eröffnen. Dies schließt nach Ansicht des Bundesrates eine verbesserte finanzielle Ausstattung entsprechender Forschungsvorhaben ein.

 

Planungen für das Forschungszentrum laufen weiter


Ein Bezug zur Gründung eines „Instituts für Ressourcenmanagement und nachhaltiges Bauen“, werde von der Landesregierung „mit Nachdruck“ betrieben, ist aus Erfurt zu erfahren, im Maßnahmenpaket des Bundes zum Kohleausstieg finde sich die Maßnahme aber leider nicht wieder. Eine Standortdiskussion sei in diesem Zusammenhang nicht geführt worden.

Für die Gründung eines solchen Instituts habe die Landesregierung „sowohl bei der Bundesregierung als auch bei den Fraktionen des Deutschen Bundestages intensiv geworben“. Bundeskanzlerin Merkel habe desweiteren „in ihrem Antwortschreiben vom 22. April auf das Schreiben von Herrn MP Ramelow vom 10. Januar 2020 unterstrichen, dass auch das Thema Gipsgewinnung beim Kohleausstieg von Bedeutung ist und durch die Bundesressorts zu prüfen ist, inwieweit hier eine Projektförderung in Frage kommt.“

Bereits seit Herbst 2019 ist ist mit dem Bundesumweltministerium über geeignete Förderinstrumente für die Gründung eines Instituts im Gespräch. „Die Bundesregierung ist somit für die Bedeutung der Thematik sensibilisiert und die Landesregierung wird für die Problematik auch weiterhin auf Bundesebene Lösungen einfordern. Zudem prüft die Landesregierung alle Optionen einer Förderung.“, teilt uns die Thüringer Staatskanzlei mit.
 
Auf der Thüringer Seite ist das Wirtschafts- und Wissenschaftsministerium mit dem Aufbau des Forschungsinstitutes betraut. Ein ebenfalls im Herbst 2019 gebildetes Initial-Konsortium mit Vertretern des F.A. Finger-Instituts (FIB) an der Bauhaus Universität Weimar, der Materialforschungs- und Prüfanstalt (MFPA) an der Bauhaus-Universität Weimar, des Instituts für Angewandte Bauforschung Weimar gGmbH (IAB) und des Thüringer Innovationszentrums für Wertstoffe (ThIWert) an der Hochschule Nordhausen habe hierfür ein wissenschaftliches Konzept erstellt, so die Staatskanzlei weiter. Auf dieser Basis würden derzeit Initiativen zur Klärung betrieben, um die Idee tatsächlich realisieren und finanzieren zu können.

Die politischen Mühlen mahlen in ihrer üblichen Geschwindigkeit, langsam. Auch Monate nach unserer ersten Anfrage hat sich in der Sache nicht viel getan, sieht man einmal von den für die Thüringer Anliegen wenig förderlichen Beschlüssen des Bundesrates ab. Ob und wann das Gipsforschungszentrum kommt ist heute so unklar wie es im Februar war.
Angelo Glashagel