Tag der Architektur

Elitenspielwiese oder Entwicklungsmotor?

Sonnabend
24.06.2017, 15:00 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Ob alte Ruinen, monumentale Wolkenkratzer oder das neue Einfamilienhaus - Architektur ist immer auch ein Spiegel von Zeit, Kultur und Gesellschaft. Was heutzutage den Ideen der Architekten entspringt ist beim normalen Bürger häufig umstritten. Über das Spannungsfeld von ästhetischem Anspruch, Funktion, Form und unterschiedlichen Betrachtungsweisen sprach man gestern im Bürgerhaus...

Baukultur in Nordhausen: Spielwiese für Eliten oder Entwicklungsmotor? (Foto: Angelo Glashagel) Baukultur in Nordhausen: Spielwiese für Eliten oder Entwicklungsmotor? (Foto: Angelo Glashagel)

Das Nordhäuser Bürgerhaus, ein Stück "grandiose Architektur", inspiriert vom Typus der europäischen Oberstadt, dem Burgberg der Akropolis - für professionelle Architekturliebhaber wie Prof. Dr.-Ing. Gerd Zimmermann ist der Doppelbau von Bibilothek und Ratssaal ein Genuss.

Der Profi erkennt Sichtachsen, Raumgestaltung, Zitate der Umgebungsarchitektur, historische Bezüge zu architektonischen Stilen, sehen Sinn und Verstand in der Arbeit des Architekten. In Nordhausen gab und gibt es aber auch Menschen, die im Bürgerhaus nicht mehr sehen als einen emotionslosen Betonriegel, glatt und langweilig.

Wie im modernen Stadtbau mit dieser Diskrepanz und dem Verhältnis von Form und Funktion umgegangen werden kann und was "Baukultur" für eine Stadt bedeutet, darüber diskutierte man gestern im Kaffeehaus der Bibliothek.

Stadtentwicklung müsse auch in zeitlicher Tiefe gedacht werden, erklärte etwa Inge Klaan, Chefin der städtischen Wohungsbaugesellschaft. Am Mittwoch hatten Stadt und Wohnungsbaugesellschaften ihre Pläne zum energetischen Umbau von Nordhausen Nord den Anwohnern vorgestellt.

Die ersten Reaktion hätten vor allem in Ablehnung bestanden, es habe eine Weile gedauert bis man erklären konnte das es auch darum geht schon jetzt an die Bedürfnisse kommender Bewohner zu denken, so Klaan. Kritiker werde es immer geben, meinte Prof. Zimmermann, eine möglichst frühzeitige Einbindung der Bevölkerung sei heute äußerst wichtig.

Diskussionsrunde im Kaffeehaus: Prof. Dr. Zimmermann, SWG Chefin Inge Klaan, Matthias P. Gliemann von der Thüringer Architektenkammer, Kunsthausleiterin Susanne Hinsching, Theaterintendant Daniel Klajner und Journalist Thomas Müller (Foto: Angelo Glashagel) Diskussionsrunde im Kaffeehaus: Prof. Dr. Zimmermann, SWG Chefin Inge Klaan, Matthias P. Gliemann von der Thüringer Architektenkammer, Kunsthausleiterin Susanne Hinsching, Theaterintendant Daniel Klajner und Journalist Thomas Müller (Foto: Angelo Glashagel)

Diskussionsrunde im Kaffeehaus: Prof. Dr. Zimmermann, SWG Chefin Inge Klaan, Matthias P. Gliemann von der Thüringer Architektenkammer, Kunsthausleiterin Susanne Hinsching, Theaterintendant Daniel Klajner und Thomas Müller vom Südharzer Fachwerkzentrum

Gegenwind kam von Thomas Müller, Mitglied des Südharzer Fachwerkzentrums, das sich darum bemüht die Nordhäuser Altstadt in ihrem Baubestand zu erhalten. Informationsveranstaltungen würden oft den Eindruck vermitteln das es darum gehe die Menschen dorthin mitzunehmen wo man selber schon stehe. "Verteidungsrunde für Architekten und Bauherren", nannte es Inge Klaan. Historismus, der Versuch längst vergangenes nachzuahmen, sei ein "fauler Kompromiss und eine üble Lösung", konnte Prof. Zimmermann kontern, Scheinsicherheit in der Gewohnheit. Moderne Architektur würde von kommenden Generationen anders angenommen als von den Zeitgenossen, hieß es weiter, ähnlich wie Gäste die städtische Architektur weniger kritisch betrachten als Einheimische.

Eine wirkliche Lösung für die Frage des Abends fand sich nicht. Für SWG Chefin Klaan ist Architektur unbedingt ein Motor der Entwicklung, die Veränderungen die sich in Nordhausen in den letzten 20 Jahren vollzogen haben, sind da ein gutes Beispiel. Architektur sei keine "Elitenspielwiese" sondern gehe alle an. Der Stadt stünden mit Feuerwehr und Humboldt-Gymnasium, mit der Theatersanierung, dem AKS und dem Quartiersumbau ein Strauß an Aufgaben bevor. Man werde öfter und offener miteinander diskutieren müssen, letztlich werde die Stadt in diesen Themen wachsen.

Müller sähe es gerne wenn auch private und gewerbliche Bauherren wieder mehr Wert auf äußere Ästhetik legen würden, allein dazu bedürfe es eines allgemeinen Mentalitätswandels, den es zu befördern gelte. Eine Möglichkeit das zu tun wären Formate wie ein Gestaltungsbeirat wie es ihn in Jena oder Weimar gibt.

Zumindest als privater Bauherr kommt der finanzielle Aspekt hinzu, Ästhetik, den guten Architekten mit frischen Ideen, das muss man sich leisten können. Insofern werden es wie ehedem die Großbauten sein, die ihre Epoche prägen. Heute sind es keine Paläste, Grabmäler und Festungen sondern Großprojekte der Geselllschaft wie Bahnhöfe, Konzerthäuser und Sportstadien.

Ein bisschen weniger glatter Steinquader und ein wieder ein klein wenig mehr Ornamentik würden der modernen Architektur vielleicht auch gut tun. Aber über Geschmack lässt sich bekanntlich immer streiten.
Angelo Glashagel