Thema Waldwildnis

Appell und Vorschläge an den Ministerpräsidenten

Sonnabend
24.06.2017, 00:10 Uhr
Autor:
khh
veröffentlicht unter:
2. Offener Brief vom Verein „Statt Urwald – Kulturwald an Possen und Hainleite e.V.“ – zur Problematik „Soll der Possen ein Urwald werden oder nicht?“ an Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke)...

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

der Verein „Statt Urwald – Kulturwald am Possen und Hainleite e.V.“ tritt für den Erhalt der nachhaltigen Forstwirtschaft in Thüringen, insbesondere am Possen und in der Hainleite, ein. Diese Wälder sind eine wertvolle Kulturlandschaft mit einzigartigen Ökosystemen als Ergebnis Jahrhunderte langer Pflege und forstwirtschaftlicher Nutzung. Sie ermöglichen Holznutzung, Naturschutz und Freizeitgestaltung auf gleicher Waldfläche.

In dieser großen zusammenhängenden Waldfläche gibt es trotz Holznutzung eine vielfältige Flora und Fauna, daneben Urwaldstrukturen und Feuchtbiotope sowie Rückzugsgebiete für bedrohte Pflanzen- und Tierarten trotz oder offenbar infolge der forstwirtschaftlichen Nutzung. Das muss auch in Zukunft so bleiben!

Eine großflächige Verwilderung großer Buchen- und Mischwaldflächen und die Umwandlung eines Kulturwaldes in eine Waldwildnis lehnen wir kategorisch ab, da diese nach unserer Auffassung und den Erfahrungen von Fachleuten weder der Natur und ihrer Artenvielfalt noch dem Tourismus nutzen würde. Wir wollen keine Experimente, welche erst oder vielleicht in 100 oder 200 Jahren sichtbar werden.
Wir sehen erhebliche ökonomische Verluste - 20 Mill. €, soziale Verwerfungen (Verlust von 180 Arbeitsplätzen) und keine Investition, um dies auszugleichen. Im Gegenteil. Wir werden verglichen mit Nationalparks, welche wesentlich größer und mit erheblichen finanziellen Mitteln ausgestattet sind.

Hinzu käme insbesondere in der Region um Sondershausen, dass in dieser bereits erhebliche Waldareale der Nutzung und der Bevölkerung entzogen worden.

Wenn die Pläne der rot-rot-grünen Landesregierung auf Betreiben des grünen Umweltministeriums realisiert würden, 2.300 bis 2.500 ha Nutzwald in eine Wildnis umzuwandeln, ist das ohnehin gebeutelte Sondershausen von Waldsperrgebieten
geradezu umzingelt, wie die touristische Karte der Umgebung von Sondershausen zeigt. Das hat mit 5 Prozent nichts mehr zu tun!


Zu dem schmerzlichen Entzug von Waldflächen durch die Bundeswehr käme nun noch die zusätzliche gekennzeichnete Waldfläche hinzu, in welcher Bürger und Waldfreunde infolge der Verwilderung keinen oder erschwerten Zutritt hätten.

Es ergeben sich folgende Flächen:
Naturwaldparzellen nach ThürWaldgesetz: ca. 200 ha
Reservate in bestehenden Naturschutzgebieten: ca. 1.600 ha
Stilllegung im Rahmen 25.000 ha Programm:  ca. 900 ha

Die Waldfläche in Eigentum des Landes Thüringen ca. 13.000 ha. Sollten noch weitere 2.500 ha am Possen dazukommen, hätten wir in der Summe 5.200 ha Stilllegung im Forstamt Sondershausen (ca. 40%).
Die Flächen der Bundeswehr sind hier nicht mit berechnet.

Bilden Sie sich selbst ein Urteil über Sinn oder Unsinn der geplanten Verwilderung riesiger Waldflächen!

Unsere Auffassung ist, dass es gerade die nachhaltige Bewirtschaftung ist, welche die Biodiversität sichert und somit in einem Kulturwald viele seltene Baum- und Pflanzenarten überleben, in einer Waldwildnis dagegen kaum. Auch die Instandhaltung der Waldwege für Wanderer und Touristen hängt entscheidend von einer Waldbewirtschaftung sowie Landschaftspflege ab und hiermit auch von der Akzeptanz der Anrainer.

Des Weiteren befürchten wir, gestützt durch praktische Erfahrungen von Fachleuten, dass sich in diesem Areal diverse Wildarten unkontrolliert vermehren und dadurch Folgeschäden in der angrenzenden Feldflur bzw. den angrenzenden Ortschaften oder Stadtteilen zu beklagen wären. Auch diese finanziellen Folgen für Einzelpersonen, Landpächter, Bauern oder Kommunen sind noch nicht abschätzbar.
Wir plädieren für eine nachhaltige Forstwirtschaft in Verbindung mit Landschaftspflege und einem sanften Tourismus.

Dazu unsere Vorschläge als Verein:

1. Verbesserung der Zugänglichkeit des exponierten Aussichtspunktes Rondell oberhalb von Sondershausen mit Panoramablick zum Harz sowie des exponierten Aussichtspunktes in Südrichtung mit Panoramablick zum Thüringer Wald durch Einrichtung eines regelmäßigen naturverträglichen Shuttle-Verkehrs vom Zentrum Erlebnispark Possen auf vorhandenen, derzeitig gesperrten Forstwegen.

2. Errichtung eines Natur-Baumkronenpfades unter Ausnutzung der topografischen Gegebenheiten an dem Steilabbruch Nähe Rondell, Verbindung der Aussichtspunkte Rondell und Bismarcksturm durch einen Weg bzw. Sky walk oberhalb der Baumkronen als neuartigen touristischen Anziehungspunkt.

3. Erschließung der im Nutzwald befindlichen touristischen Anziehungspunkte „Germanische Schanzen“, Feuchtbiotop „Schmuckensee“, Feuchtbiotop „Rohrteich“ und „Marienbrunnen“ durch Einrichtung eines bedarfsangepassten Shuttle-Verkehrs vom Zentrum Erlebnispark Possen auf vorhandenen, derzeitig gesperrten Forstwegen.

4. Erschließung der im Nutzwald befindlichen bereits vorhandenen Urwaldgebiete, z.B. am Kohlberg mit umfangreichem Totholzbestand, durch Einbeziehung in einem Shuttle-Verkehrsverbund bzw. speziellen Führungen durch Forstleute.

5. Erschließung des touristischen Anziehungspunktes „Mutterblutbuche“ durch Schaffung einer Zuwegung, einer Gedenktafel und einer Blutbuchen-Neupflanzung am Ursprungspunkt aller weltweiten vorhandenen Blutbuchen.

6. Touristische Führungen zu den im Nutzwald vorhandenen Orchideenarten (Orchis pallens, Frauenschuh u.a.) mit fachkundlichen Führern sowie deren Standortspflege im Zusammenwirken mit der Unteren Naturschutzbehörde.

7. Touristische Führungen zu den Waldgebieten mit Wildkatzen sowie anderen standortsgebundenen Tierarten mit fachkundigen Führern.

8. Schrittweise Verbesserung der Zugangsstraßen zum Erlebnispark Possen sowie Einrichtung einer separaten weiteren Feuerwehr-Rettungszufahrt aus Richtung Oberspier – Kastanienallee.

9. Regelmäßige monatliche Waldführungen für Naturinteressierte, Jugendliche, Menschen mit Einschränkungen und Kinder durch Forstleute.

10. Aufstellung von neuen bzw. Instandsetzung vorhandener Schautafeln zur Biologie des Mischwaldes als Kulturwald bzw. Urwald.

11. Aufstellung von neuen bzw. Instandhaltung vorhandener Schautafeln zur Geologie der Hainleite sowie von geologischen Aufschlüssen (vorhandene Steinbrüche) im Muschelkalk.

12. Organisation geführter Exkursionen mit sachkundigen Führern bzw. Forstleuten speziell für Kinder und Jugendliche in den Ferienmonaten.

Diese Anregungen zur Entwicklung eines „sanften Tourismus“ im forstwirtschaftlich nachhaltig genutzten Kulturwald sowie bereits vorhandener Urwaldareale im Bereich Possen-Hainleite sollten in Abstimmung von Forstverwaltung, Unterer Naturschutzbehörde, Kreisverwaltung Kyffhäuserkreis, Vereinen und den Jagd- und Bauernverbänden in die Realität umgesetzt werden, ggf. mit speziellen Projektanträgen und Fördermaßnahmen.

Hierzu wäre die Stilllegung ausgedehnter Kulturwaldflächen zwecks Verwilderung vormaliger Kulturwälder weder erforderlich, sondern vielmehr extrem kontraproduktiv.


Unser Verein schließt sich der immer mehr um sich greifenden Meinung an, dass auf die Stilllegung des Possenwaldes verzichtet und Waldflächen nur noch stillgelegt werden, deren forstwirtschaftliche Nutzung sich betriebswirtschaftlich nicht lohnt sowie der Waldflächen, deren Nutzungsaufgabe verpflichtend und bereits vorgeschrieben ist.

Wir bitten Sie, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, unseren Standpunkt und unsere Vorschläge zu prüfen und bei der bevorstehenden Entscheidungsfindung zur Frage „Urwald oder Kulturwald am Possen und in der Hainleite“ zu berücksichtigen.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Dr. rer. nat. Heinz Scherzberg
Vorsitzender
Verein „Statt Urwald – Kulturwald am Possen und Hainleite e.V.“

Anlage
Karte der Umgebung von Sondershausen mit allen Schutzgebieten außer Bundesforst. In der pdf-Datei finden Sie eine größere Auflösung:
Schutzgebiete

Karte (Foto: Privat) Karte (Foto: Privat)