Aus dem Integrationsbeirat

Der Finger in der Wunde?

Montag
19.06.2017, 18:10 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Im Nordhäuser Integrationsbeirat konnte man heute drei Gäste aus Erfurt begrüßen. Die Vertreter des Flüchtlingsbeirates waren mit einem ernsten Anliegen in den Norden gekommen. Anlass waren die Zustände in der Flüchtlingsunterkunft in der Rathenaustraße...

Aussprache im Integrationsarbeit (Foto: Angelo Glashagel) Aussprache im Integrationsarbeit (Foto: Angelo Glashagel)


Seit 20 Jahren gibt es den Thüringer Flüchtlingsrat, die Nicht-Regierungsorganisation ist in vier Bundesländern unterwegs, spricht mit denen, die sonst kaum eine Stimme in der Öffentlichkeit finden, will auf Probleme aufmerksam machen. Unter anderem reist man auf „Lagertour“ durch den Freistaat und sieht sich Unterkünfte an.

Vor einigen Wochen machte die „Lagertour“ in Nordhausen halt. Ein Bewohner hatte sich in Erfurt gemeldet und darum gebeten, sich die Situation einmal anzusehen und mit den Menschen vor Ort zu sprechen. Der Besuch hatte für einige Verstimmungen gesorgt, zum klärenden Gespräch hatte heute der Nordhäuser Integrationsbeirat mit Martin Arnold, Frau Blumenthal und Undine Zachlot drei Vertreter des Flüchtlingsrates eingeladen.

Zu dritt war man angereist, nebst Dolmetscher, erzählten Arnold. Die Situation in der Unterbringung ist aus Sicht des Flüchtlingsrates problematisch. „Entsetzt“ sei man gewesen, als man die Wohnsituation vor Ort erlebte, heißt es in dem Bericht, den der Flüchtlingsrat im April im Internet veröffentlicht hatte. 10 bis 13 Personen müssten in einem Zimmer leben, die Bewohner hätten sich mit Laken und Metallschränken notdürftig ein wenig Privatsphäre geschaffen. Die Unterkunft in der Rathsfelder Straße habe die Besucher „an eine Notunterkunft aus dem Herbst 2015 erinnert“, schreibt der Rat in seinem Blog. Die Sicherheitskräfte würden alle paar Stunden nach dem Rechten sehen, die Bewohner fühlten sich „permanent verdächtig und kontrolliert“. Schwierigkeiten gebe es auch beim Zugang zu Dolmetschern, allgemein herrsche ein Gefühl der Perspektivlosigkeit unter den Bewohnern, berichtete Martin Arnold, „die Leute haben das Gefühl nicht vom Fleck zu kommen, das es nicht weiter geht.“

Der Landkreis Nordhausen sei dafür bekannt gewesen dezentral unterzubringen, inzwischen, so der Bericht des Rates, sei man dazu übergegangen angemietete Wohnungen zu kündigen und Flüchtlinge verstärkt in Sammelunterkünften unterzubringen. Man geht hart mit den Behörden ins Gericht, am Ende des Berichtes heißt es:

„ 13-Bett-Zimmer, keine Privatsphäre, keine ausreichenden Bildungsangebote, unzureichende medizinische Behandlung, erschwerter Zugang zum Arbeitsmarkt [...] Für uns ist das kein Zufall. Hat das System?“

Über den Bericht war man im Landratsamt nicht glücklich, zwischenzeitlich bezichtigte man den Flüchtlingsrat am Nachmittag der Lüge und einer „Bildzeitungsmentalität“. Stefan Nüßle, zweiter Beigeordneter des Kreises und zuständig für den Bereich Flüchtlinge, schilderte die Situation aus Sicht des Kreises und hatte Zahlen mitgebracht. 400 Personen mehr als die Landesquote verlangt, habe man in Nordhausen aufgenommen, gut 8% der in Thüringen angekommenen Flüchtlinge. Weiterhin habe man den Weg der dezentralen Unterbringung immer favorisiert, die Situation habe aber andere Lösungen nötig gemacht, so Nüßle.

Die Situation sei komplex, in der Unterkunft würden viele verschiedene Nationen leben, die alleinstehenden Männer seien nicht leicht unterzubringen, erklärte Angela Hummitzsch von der zuständigen Service-Gesellschaft.

In der Stadt gebe es auch Spezialeinrichtungen für Menschen in besonderen Situationen. Man habe personell aufgestockt, hat zusätzliche Angebote geschaffen, die sich mit Gewalt- und Suchterfahrungen befassen. Als Ansprechpartner sei man regelmäßig verfügbar. Dort wo es nach der Darstellung des Flüchtlingsrates Probleme gebe, sei man häufig gar nicht mehr zuständig. Kurzum: der Landkreis kümmert sich, sogar über das Maß hinaus. Alles gut.

Sauer aufgestoßen war im Landratsamt, dass die Berichterstattung des Rates nicht auch auf die positiven Aspekte der Arbeit in Nordhausen eingegangen war und das man unangemeldet in Nordhausen aufgetaucht war.

Die Privatsphäre in der Rathsfelderstraße sei problematisch, meinten die Vertreter des Flüchtlingsrates (Foto: Angelo Glashagel) Die Privatsphäre in der Rathsfelderstraße sei problematisch, meinten die Vertreter des Flüchtlingsrates (Foto: Angelo Glashagel)


Aufgabe des Rates sei es, direkt mit Flüchtlingen zu sprechen und ihnen eine Stimme zu geben, sagte Frau Blumenthal. Es sei nicht die Aufgabe des Rates, Positives darzustellen, sondern den Finger in die Wunde zu legen, die Berichte zur Lagertour seien bewusst „ungeschönt, plastisch und realistisch“ gehalten.

Man habe gleichen Ziele, aber unterschiedliche Perspektiven, sagte Martin Arnold, man werde auch weiterhin Besuche nicht anmelden, man wolle sich ein ungeschöntes Bild von der Situation vor Ort machen. Der Mangel an Privatsphäre sei ein ernstes Problem, die permanente Unterbringung auf engstem Raum führe zu „Hospitalisierung“ und diese wiederum zu mehr Konflikten. Der Landkreis hielt dem die bauliche Situation wie Brandschutzbestimmungen entgegen, praktische Gegebenheiten vor Ort und weitreichendere Limitierungen wie Finanzen und Wohnungsmarkt.

Praktische Konsequenzen hatte die Aussprache kaum, die Situation in der Rathsfelder Straße dürfte bleiben wie sie ist. Es ging vor allem darum, die gegenseitige Kommunikation nach den Befindlichkeiten beider Seiten auf neue Füße zu stellen.

„Nordhausen ist immer ein Landkreis gewesen, den wir für seine Arbeit sehr geschätzt haben, sagte Arnold, eine Unterbringungssituation wie in der Rathsfelder Straße sei man aus Nordhausen nicht gewohnt, „Nordhausen ist kein Meiningen oder Weimarer Land“. Für den Flüchtlingsrat bleibt das Problem der Privatsphäre in der Rathsfelder Straße, der Kreis sieht die Herangehensweise des Rates kritisch.

Am Ende stand das Angebot von Seiten der Nordhäuser eines erneuten Besuchs und einer gemeinsamen Besichtigung der Unterbringungen im Kreis.
Angelo Glashagel