wenn die Sonne in den Tank scheint

Die Zukunft ist kein Hexenwerk

Dienstag
28.03.2017, 11:00 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Wenn man genau hinsieht, vor allem in größeren Städten, dann ist die Zukunft eigentlich schon da. Nur eben nicht immer sichtbar. Das junge Nordhäuser Unternehmen IntraSol will das mit innovativen Ideen zur Elektromobilität ändern. Dabei könnte sogar der guten alten Straßenbahn ganz neue Aufgaben zukommen...

Elektrische Zukunft ist kein Hexenwerk - Besuch bei "mobeee" in Nordhausen (Foto: Angelo Glashagel) Elektrische Zukunft ist kein Hexenwerk - Besuch bei "mobeee" in Nordhausen (Foto: Angelo Glashagel)

Den Enthusiasmus kann man Sebastian Kupfer ansehen, wenn er vom "postfossilen Zeitalter" spricht. Der junge Ingenieur hat seinen Abschluss an der Nordhäuser Hochschule gemacht und zusammen mit drei Kommilitonen das Ingenieurbüro "IntraSol" gegründet, das sich vor allem dem Thema Elektromobilität widmet. Man wolle keine langfristigen Studien über mehrere Jahre führen, sondern praktische Lösungen anbieten, sagt Kupfer, "das ist kein Hexenwerk, wir wollen zeigen das es geht".

Ihre Ideen konnten die Jungunternehmer gestern Christian Carius (CDU) vorstellen, seines Zeichens Landtagspräsident Thüringens, der auf Einladung Inge Klaans nach Nordhausen gekommen war. Die Chefin der Städtischen Wohnungsbaugenossenschaft hatte einst als Staatssekretärin unter Carius gearbeitet, man kennt und schätzt sich. Die SWG ist auch einer der vielen Projektpartner, die sich die Ingenieure im letzten halben Jahr gesucht haben.

Das erste große Unterfangen, mit dem das Büro für Aufmerksamkeit sorgen will ist "mobeee", ein Verbundkonzept, das Elektro-Mobilität und Car-sharing im Nordhäuser Kreis als Demonstrationsprojekt für den Rest des Freistaates vorranbringen soll. Ende kommenden Monats will man mit zunächst sieben Fahrzeuge und ebenso viele Ladestationen innerhalb der Stadt Nordhausen an den Start gehen. Hinzu kommen weitere Ladestationen in Bleicherode, Heringen und Neustadt sowie mehrere Autos, mit denen einige der Kooperationspartner des Büros ihre ersten Tests mit den Elektrofahrzeugen durchführen wollen.

Hinter dem ambitionierte Anliegen steht der Gedanke, dass die meisten Menschen nicht ständig ein Auto brauchen und viele Karossen die meiste Zeit nur unnütz herumstehen. Für den Einkauf, die Fahrt zum Arzt oder der Ausflug in den Harz könnte man sich theoretisch auch ein Auto mieten. Wenn das nicht so kompliziert und vor allem teuer wäre. "mobeee" will das ändern - ehrlich, einfach, elektrisch - dafür sollen die drei Vokale im Namen stehen.

Ingenieur Sebastian Kupfer und SWG Chefin Inge Klaan (Foto: Angelo Glashagel) Ingenieur Sebastian Kupfer und SWG Chefin Inge Klaan (Foto: Angelo Glashagel) Die mobeee-Fahrzeuge soll man kurzfristig mieten oder sich per Online-Kalender vormerken können, rund 9 ct/min. soll der Service im Schnitt kosten. Bei den Fahrzeugmodellen beschränkt man sich nicht auf einen Hersteller, man möchte auch die verschiedenen Autohäuser der Region mitnehmen, erklärte Kupfer. Genutzt wird im Moment aber vor allem der "i3" mit gut 230 Kilometern Reichtweite. Etwa eine halbe Stunde an der Steckdose braucht das Auto danach, um wieder auf 80% zu laden.

Für Anmeldung und Zahlung bietet man verschiedene Modelle an, per App und Handy, als Pre-Paid-System, über die Firmenwebsite oder eine "mobeee-Karte". Am Ende des Monats bekommt der Nutzer eine detaillierte Abrechnung, ähnlich wie es einst bei Handyverträgen üblich war, erklärt Kupfer, Ziel sei volle Kostenkontrolle und Transparenz für den Kunden.

Perspektivisch würde man gerne zum sogenannten "free-floating" übergehen, bei dem der Nutzer nur für die Strecke von Ladesäule zu Ladesäule zahlen würde, allein dafür ist das Ladenetz noch zu eng.

Es ist ein Grundproblem der Elektromobilität - flächendeckende Stationen lohnen sich erst, wenn es mehr Fahrzeuge gibt die sie nutzen, die aber kauft kaum jemand, weil das Ladenetz in Deutschland zu dünn ist. "Wir wollen dieses Henne-Ei-Problem vom Tisch nehmen in dem wir selber für Fahrzeuge und Ladestationen sorgen", erklärte Kupfer dem Erfurter Besuch. Gefördert wird das Mobilitätsprojekt dabei auch vom Thüringer Umweltministerium. Bevor die kam, hatte man die ersten Schritte hatte man da mit Schützenhilfe von Feuer powertrain Chef Oliver Wönnmann schon gemacht.

Attraktiv ist die Idee vor allem in solchen Bereichen, in denen umfangreiche Fahrzeugflotten viele kurze Wege zurücklegen müssen - Pflegedienste wie die Diakonie etwa, die immerhin eine Flotte von rund 60 Fahrzeugen ihr eigen nennt, oder Wohungsbauunternehmen wie die SWG. Die Strombetankung sei günstiger und vor allem nachhaltiger, erklärte Kupfer, im Stadtverkehr verbrauchten aktuelle Eltektroantriebe auf 100 Kilometern gerade einmal das Äquivalent von 1 Liter Sprit, so der Ingenieur. "An Tagen wie heute scheint die Sonne in den Tank", die Fahrzeuge vor der Geschäftsstelle werden mit Solarenergie betankt, den Strom liefert ein weiterer Partner.

Gut 80% aller Autofahrten in Deutschland würden nicht mehr als 40 Kilometer überbrücken, zitiert Kupfer die Statistik, jede Menge theoretisches Potential also für Elektrofahrzeuge. Auf größeren Strecken, so ehrlich müsse man sein, mache der Elektroantrieb noch keinen Sinn, erklärte der Ingenieur, die Brennstoffzelle könnte hier das Zukunftsmodell sein, noch sei die Technik aber nicht so weit.


Hapern tut es auch noch an der Akzeptanz in der Bevölkerung. Partner wie die Diakonie und die Stadtverwaltung wollen ihre Beschäftigten ganz bewusst langsam an die Neuerungen heranführen. Die SWG will Aktionsnachmittage durchführen, bei denen jeder einmal die neuen Autos ausprobieren kann. Aus Sicht Sebastian Kupfers ist auch die Sichtbarkeit der Technologie problematisch. Ladestationen wie die in der Rautenstraße untescheiden sich oft kaum von gewöhnlichen Parkautomaten und würden nicht wahrgenommen. Auch das will das IntraSol Team ändern. Die Helbing Bäckerei in der Halleschen Straße etwa hat eine Solarladestation bei dem Ingenieurbüro geordert, mit im Paket ein vertikales Klein-Windrad, das ähnlich dem bekannten Fast Food Logo schon von weitem ins Auge fallen soll. Auch die Ladestationen als solche könnten für Werbezwecke genutzt werden - moderne Litfaßsäulen mit angeschlossener Stromtankstelle.

Kupfer und Kollegen denken aber noch weiter. "Trambeee" heißt ihre neueste Idee. Dahinter verbirgt sich die Überlegung, die gute alte Straßenbahn für den Ausbau der Elektromobilität zu nutzen. Denn die braucht ohnehin Strom, Oberleitungen als Energielieferanten gibt es deswegen in vielen deutschen Städten. Anstatt also beim Aufbau von Ladestationen umständlich Straßen aufzubaggern und neue Leitungen zu verlegen, bräuchte es nur minimalen Aufwand, wenn man in der Nähe der Oberleitungen Stationen einrichten würde. Erste Prototypen habe man bereits entwickelt. "Die Straßenbahn könnte zum Rückgrat des postfossilen Zeitalters werden", sagt Kupfer.

Wenn man das Thema clever angehe, dann könnte Thüringen auf der Schwelle zur neuen Zeit "wieder ganz vorne stehen", gab Kupfer dem Besuch aus Erfurt mit auf dem Weg. Und im Freistaat selbst könnte es Nordhausen sein, das mit den Absolventen der eigenen Hochschule die Vorreiterrolle übernimmt.
Angelo Glashagel